Wie weit kann das Diskussionsniveau eigentlich noch
sinken? Nicht nur Griechenland, nein Europa steht vor gewaltigen
Problemen. Die ökonomisch unsinnige Spar- und Kürzungspolitik der
vergangenen Jahre hat in vielen Ländern die Nachfrage gedrosselt und
damit die Wirtschaftskrise verschärft. Sie ist dabei, unsere Zukunft
zu zerstören, weil sie Investitionen abwürgt und Millionen von jungen
Menschen von den Arbeitsmärkten ausschließt. Sie hat zur Verelendung
von breiten Bevölkerungsschichten geführt und bedroht das
Jahrhundertwerk der Europäischen Friedensunion. Es ist längst an der
Zeit, diese Politik grundlegend zu ändern und ernsthaft über
Alternativen zu diskutieren. Aber was machen wir? Unser
Meinungs-Zirkus debattiert seit Tagen über die wirklich zentralen
Fragen der Krise. Nämlich: Können wir einem griechischen
Finanzminister trauen, der keine Krawatten trägt und statt eines
dicken Dienstwagens ein Motorrad fährt? Darf sich Gianis Varoufakis
vom Fotografen eines internationalen Hochglanzmagazins in seiner
gutbürgerlichen, aber keinesfalls mondänen Wohnung gemeinsam mit
seiner Frau ablichten lassen? Hat dieser Grieche, den wir partout in
der Rolle des Mephistopeles sehen wollen, tatsächlich der deutschen
Regierungspolitik 2013 kurz den Stinkefinger gezeigt? Wahrscheinlich
werden uns diese und ähnlich brennende Themen noch tagelang intensiv
beschäftigen. Es werden Banalitäten hochgejazzt, Zitate verfälscht,
Klischees gepflegt. Längst liegen wir geistig wieder einmal in den
Schützengräben. Verbal geschossen wird von beiden Seiten – von der
griechischen und von der deutschen. Sicherlich war in den vergangenen
Tagen manche Äußerung aus Athen alles andere als angemessen.
Natürlich sind die Aussagen des rechtskonservativen
Verteidigungsministers Panagotis Kammenos zum Flüchtlingsproblem eine
Zumutung, eine politische Idiotie. Dem gegenüber steht aber eine von
vielen deutschen Medien und manchen deutschen Politikern fast schon
zelebrierte Arroganz, die sich bereits in der Wortwahl zeigt. Wenn
die griechische Regierung ihre Sicht der Dinge darlegt, wird ihr nur
noch vorgeworfen, sie würde stänkern, herumwettern und wüste
Rundumschläge veranstalten. Wenn Varofakis versucht, einmal länger
als eine Minute wirtschaftliche Zusammenhänge darzustellen, werden
ihm nervende Monologe vorgehalten. Wenn der Finanzminister aus Athen
wie in der Sendung „Jauch“ seine Gegenspieler, den CSU-Mann Markus
Söder und den „Bild“-Kolumnisten Ernst Elitz , mehr als blass
aussehen lässt, dann muss er sich vom Moderator anhören, er habe sich
„tapfer geschlagen“. Welch eine herablassende Haltung. Hätte sich
Günter Jauch getraut, solch einen Satz auch einem deutschen Minister
zu sagen? Stimmung statt Argumente Bei der Diskussion über
Griechenland und Europa erreichen wir auf der nach unten offenen
Niveauskala immer neue Tiefpunkte. Es werden nur noch Stimmungen
geschürt. Argumente scheinen kaum noch jemanden zu interessieren.
Denn würden Argumente zählen, könnte deutlich werden, dass der
bisherige „Rettungskurs“ gescheitert ist und dass der
Wirtschaftsprofessor Varoufakis von Makroökonomie vielleicht ein
klein wenig mehr Ahnung hat als viele seiner Kontrahenten. Also
führen wir lieber auf Nebenschauplätzen einen Krieg der Worte. Einen
Krieg, der offenbar zur bedingungslosen Kapitulation Athens führen
soll. Derweil zerbröselt uns das Projekt Europa langsam zwischen den
Fingern.
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