Aachener Nachrichten: Mehr als Worte? Der Besuch des Bundespräsidenten in Griechenland; Von Joachim Zinsen

Die Griechen sind „Nichtstuer, Schieber und
Korrupteure.“ Nein, das ist kein Satz aus der „Bild“-Zeitung. Auch
wenn er so klingt. Der Satz ist mehr als 70 Jahre alt. Er kam aus dem
Mund eines deutschen Generals, der 1943 die griechische Kleinstadt
Kalavryta zerstören und 700 Männer exekutieren ließ. Allein schon in
der Sprache des Wehrmachtssoldaten lagen Arroganz und tiefe
Verachtung für die Griechen. Eine Verachtung, an die sich viele
geschichtsbewusste Hellenen heute erinnert fühlen, wenn wir munter
über „Pleitegriechen“ herziehen oder pauschal von „faulen
Südländern“ schwadronieren. Vielen in Deutschland mag das
überempfindlich erscheinen. Aber das historische Gedächtnis
funktioniert bei Nachfahren von Opfern meist besser als bei den
Nachfahren von Tätern. Wir in Deutschland haben jedenfalls immer
verdrängt, dass Griechenland wie kein anderes nichtslawisches Land
während des Zweiten Weltkrieges unter dem Terror der
Besatzungstruppen gelitten hat; dass dort 100 000 Zivilisten von
Deutschen ermordet wurden; dass die Besatzer hunderte Dörfer und
Kleinstädte dem Erdboden gleich gemacht haben. Wir wollten uns nie
bewusst machen, dass die deutschen Besatzer Griechenland damals
wirtschaftlich und finanziell ausgeplündert haben. Und dass die
Entschädigungszahlungen, die den Hellenen nach dem Krieg bewilligt
wurden, angesichts der gewaltigen Schäden lächerlich gering waren.
Allein schon um die deutsche Öffentlichkeit daran zu erinnern, war es
wichtig, dass Bundespräsident Joachim Gauck gestern den Weg nach
Lingiades gefunden, sich dort vor den Opfern der deutschen Truppen
verneigt und sie um Vergebung gebeten hat. Es war eine symbolisch
Geste, auf die die Griechen viel zu lange warten mussten. Natürlich
haben viele von ihnen mehr von Gauck erhofft. Etwa die Ankündigung,
dass sich Deutschland mit der Regierung in Athen an einen Tisch
setzt, um über späte Entschädigungen zu verhandeln. Das ist
verständlich, war aber unrealistisch. Denn dazu fehlt Gauck
schlichtweg die Befugnis. Gauck hatte nur Worte zu bieten, Worte der
Demut. Doch selbst diese Worte laufen immer Gefahr, Schall und Rauch
zu bleiben. Dann nämlich, wenn aus ihnen keine neuen Einstellungen,
keine neuen Sensibilitäten für die Probleme des Anderen erwachsen.
Gerade in den arg belasteten deutsch-griechischen Beziehungen geht es
dabei weniger um die Vergangenheit, als um die Gegenwart und die
Zukunft. Das hoch verschuldete Griechenland durchlebt nun schon
seit Jahren eine verheerende Wirtschaftskrise. Zwar behauptet kaum
ein Grieche, dass Deutschland die Misere ausgelöst hat. Doch sie
machen Deutschland zu Recht für die Rezepte mitverantwortlich, mit
denen das Land die Krise bekämpfen soll, die aber letztlich die
griechische Wirtschaft vollends zum Absturz gebracht haben. Das
Resultat ist heute im ganze Land zu sehen: Ein Heer von Arbeitslosen,
Rentnern und Obdachlosen durchwühlt inzwischen den Müll nach
Essbarem. Wenn die deutsche Bundesregierung diesem skandalösen
Zustand endlich Rechnung tragen und das bisherige „Rettungskonzept“
für Griechenland in Frage stellen würde, dann wäre durch den
Gauck-Besuch tatsächlich viel erreicht worden.

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