Aachener Nachrichten: Untersteht euch – Die Bundesregierung und der griechische Wahlkampf; ein Kommentar von Joachim Zinsen

Immer diese Griechen. Erst erfinden sie die
Demokratie. Und jetzt wollen viele von ihnen auch noch das linke
Bündnis Syriza in die Regierungsverantwortung wählen. Da stellt sich
doch die Frage: Dürfen die Griechen das überhaupt? Dürfen sie sich
mit ihrem Stimmzettel dagegen wehren, von der Troika zu Tode saniert
zu werden? Dürfen Wähler die heiligen Finanzmärkte nervös machen?
Offenbar nicht. Auch wenn die Bundesregierung gestern dementierte,
sich in den griechischen Wahlkampf einmischen zu wollen – sie hat es
längst getan! Denn die neuerlichen Spekulationen aus Berliner Kreisen
über einen möglichen Rauswurf Athens aus der Euro-Zone, über die
fatalen Konsequenzen eines Schuldenschnitts für das hoch verschuldete
Land, haben einen eindeutigen Adressaten: die Wähler in Griechenland.
Ihnen soll deutlich gemacht werden: Untersteht euch ja nicht, die
korrupten Konservativen abzuwählen. Untersteht euch ja nicht, die von
Berlin und Brüssel aufgezwungene Austeritätspolitik in Frage zu
stellen. Demokratie? Papperlapapp! Wir leben – um ein Wort von Angela
Merkel zu benutzen – in einer „marktkonformen Demokratie“. Wählen?
Schön und gut – aber gefälligst nur so, dass es keinen grundlegenden
Kurswechsel gibt und die Kapitalmärkte nicht vor den Kopf gestoßen
werden. Dabei haben die Griechen allen Grund, ihre bisherige
Regierung zum Teufel zu jagen. In den vergangenen fünf Jahren ist die
Wirtschaftskraft des Landes um rund ein Viertel geschrumpft. Die
Arbeitslosigkeit liegt heute bei 26 Prozent, die unter Jugendlichen
bei mehr als 50 Prozent. Das Gesundheitssystem des Landes ist
kollabiert, die Löhne wurden drastisch gesenkt, große Teile der
Bevölkerung sind verarmt und sozial ausgegrenzt, der Hunger ist nach
Hellas zurückgekehrt. Die von zahlreichen Ökonomen von Beginn an
kritisierte radikale Spar- und Kürzungspolitik hat die Zerstörung von
wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in Griechenland dramatisch
beschleunigt. Zwar haben sich in den vergangenen Monaten einige
ökonomische Daten etwas stabilisiert. Doch die seit Jahren ständig
angekündigte unmittelbar bevorstehende Wende zum Besseren ist bis
heute ausgeblieben. Jetzt steht Alexis Tsipras vor der Tür. Man muss
den Syriza-Chef nicht zum politischen Heilsbringer verklären. Aber
der Mann, der in seinem selbstbewussten Auftreten ein wenig an den
jungen Joschka Fischer erinnert, ist eben auch nicht der gefährliche
Finsterling, als den ihn konservative und marktradikale Kreise gerne
beschreiben. Tsipras will Griechenland in der EU halten, plant keinen
„Grexit“, keinen Ausstieg aus der Euro-Zone. Er will aber dem fatalen
Austeritätskurs ein Ende setzen und verhindern, dass Griechenland an
den sich immer weiter auftürmenden Schulden erstickt. Ob dazu ein
Schuldenschnitt nötig ist oder ob die Schuldentilgung weiter
gestreckt werden kann, darüber will er offenbar verhandeln. Vor allem
aber will Tsipras seine Politik so ausrichten, dass nicht länger der
einfache Grieche die Zeche für die jahrelange Klientel- und
Vetternwirtschaft der alten Eliten zahlen muss. Seine Wahl wäre
möglicherweise eine Chance, mit dem korrupten System endlich zu
brechen. Auch für andere angeschlagene Länder aus der Euro-Zone
könnte Tsipras Politik zu einem Signal werden. Sie könnte dort die
Erkenntnis fördern, dass die bisherige Austeritätspolitik keineswegs
alternativlos ist. Vielleicht ist das ja die eigentliche
Ansteckungsgefahr, die Teile des politischen Betriebes gerade auch in
Deutschland fürchten.

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