Die Tragödie hat noch längst kein Ende. Für die
Hinterbliebenen der Absturzopfer in den französischen Alpen sind die
gestrigen Erkenntnisse der nächste schwere Schock nach dem
Schicksalsschlag, der sie zwei Tage zuvor traf. Es hilft nichts, nach
dem Sinn zu fragen, wo es keinen Sinn gibt. Es hilft nichts gegen die
Verzweiflung. Die Frage nach dem Warum scheint geklärt, aber die
Antwort führt zu noch mehr Ohnmacht und Fassungslosigkeit. Angesichts
der Willkür dieses Geschehens sind alle hilflos: Ermittler,
Politiker, Fluggesellschaften, Passagiere – und vor allem die
Angehörigen der Todesopfer. Gleichzeitig bleibt das tiefe Bedürfnis,
dass den Ursachen auf den Grund gegangen wird: gründlich und ganz
transparent. Insofern ist es nur zu begrüßen, wie schnell und
detailliert die französischen Ermittler informieren. Es besteht aber
kein Anlass zur Hektik, erst recht nicht zu medial inszenierten
Erwartungen, auch wenn manche Antworten ausstehen: Hätte seine
Fluggesellschaft vorher genauer Bescheid wissen können über den
Copiloten? Müssen neben den körperlichen und kognitiven Fähigkeiten
der Piloten deren psychischen Voraussetzungen besser und häufiger
getestet werden? Dass die breite Öffentlichkeit jedes Detail über das
Leben jenes Copiloten erfährt, ist jedoch nicht erforderlich. Das
muss und wird Ermittler und Psychologen interessieren, aber nicht
jeden Zeitungsleser und Fernsehzuschauer. Rücksicht auf Verwandte des
mutmaßlichen Täters zählt allemal mehr als eine exklusive Schlagzeile
oder ein privates Foto. Dass mitten unter den trauernden Menschen in
Haltern am See manche Pressevertreter offensichtlich alle Hemmungen
verlieren, ist eine Schande fürs eigene Metier. Die
nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat
gestern dankenswerterweise etwas getan, wovor sich Politiker – erst
recht mit Blick auf die Boulevardmedien – meist scheuen: Sie hat sich
über rücksichtslose Journalisten beschwert, die keine Rücksicht
nehmen auf Hinterbliebene, sondern gefühllos drauflos schreiben oder
Nachbarn, Mitschülern und Verwandten auflauern. „Über dieses
Verhalten der Medien werden wir noch reden müssen“, hat Kraft gesagt.
Das ist mutig, denn die Revolverblätter sind nicht zimperlich. Wenn
es tatsächlich stimmt, dass Journalisten Mitschülern Geld dafür
bieten, um auf ihren Handys nach Fotos von Toten zu suchen, wird die
Branche darüber allerdings zu reden haben. Den Dingen seriös auf den
Grund zu gehen, bleibt die Pflicht der Presse. Es ist gut und
richtig, dass nun gefragt wird, ob sich Sicherheitstechnik und
-maßnahmen an Bord von Flugzeugen verbessern lassen. Gefahren werden
so oder so bleiben. Nicht nur beim Fliegen sind die
Sicherheitsstandards in Europa – zumal in Deutschland – hoch. Fliegen
ist für viele Menschen fast so selbstverständlich geworden wie
Radfahren. Trotzdem ist ein Flug keine Radtour. Mehr denn je begeben
wir uns in die Hand undurchschaubarer ausgeklügelter Technik. Das
wird oft genug beruflich erwartet, gehört aber auch wie
selbstverständlich zum Privaten. Denn der angeblich unaufhaltbare
Trend lautet: immer mehr, immer schneller, immer öfter, immer weiter.
Diesem Trend zu folgen oder nicht, entscheidet jeder selbst. Dass er
mit Risiken verbunden ist, liegt auf der Hand. Ob er das Leben besser
und schöner macht, bleibt die Frage.
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