Allg. Zeitung Mainz: Zur Individualität / Kommentar zu den Ganztagsschulen

Manche Lösungen scheinen so einfach. 70 Prozent der
Eltern fordern Ganztagsschulen. Na dann richten wir solche Angebote
doch flächendeckend ein. Endlich kommt die Chancengerechtigkeit,
Ghettokinder sitzen acht Stunden neben Wohlstandsnachwuchs. Einer
will Geige lernen, eine will Fußball spielen – kein Problem für das
Schulmanagement – und alle zusammen werkeln im schuleigenen
Gemüsegarten. Aber dieses Bild täuscht.

Es ist schlicht nicht möglich, überall allen Kindern und
Jugendlichen auch am Nachmittag Unterricht und Zusatzangebote zu
ermöglichen. Wir erleben mancherorts dramatische Einbrüche bei den
Anmeldezahlen, oft haben Schulen nur eine Chance, wenn man ihnen die
Kinder per Bus und Bahn über viele Kilometer zuführt und sie zu
riesigen Zentren ausbaut. Obendrein ist es weder in allen Fällen
sinnvoll, noch gesamtgesellschaftlich angebracht, die Ganztagsschule
als das Allheilmittel der Pädagogik zu fördern.

Die Behauptung, erst dort könne jedes Kind individuell gefördert
werden, ist nicht belegt. Das Gegenteil droht. Um jeden Wunsch nach
einem bestimmten Musikinstrument, einer speziellen Sportart oder
einem außergewöhnlichen Fach zu befriedigen, bräuchte es manchmal
sogar eine Eins zu Eins-Betreuung. Dabei gibt es all diese Angebote
schon: Vereine, Musikschulen, Volkshochschulen stehen dazu bereit,
und vor allem viele Vereine befinden sich dank der Konkurrenz der
Bildungsfabriken in einer Existenzkrise. Es ist wie so oft bei uns:
Was für einige Menschen gut und richtig ist, taugt noch längst nicht
für alle. So sollte man Individualität verstehen.

Pressekontakt:
Allgemeine Zeitung Mainz
Werner Wenzel
Newsmanager
Telefon: 06131/485980
online@vrm.de

Weitere Informationen unter:
http://