40 Jahre nach dem Münchner Geiseldrama gibt es
reichlich Kritik an den Menschen, die damals Verantwortung für die
Sicherheit der Olympischen Spiele trugen. Viele Besserwisser
übersehen, dass der Terror damals wie aus heiterem Himmel kam und in
solcher Dimension schlicht unvorstellbar war. Sicher, es hatte
Warnungen gegeben. Ebenso sicher ist auch, dass der Polizeieinsatz an
heutigen Maßstäben beurteilt unsagbar dilettantisch ablief. Aber es
waren andere Zeiten und erst nach dem Olympia-Schock wurden die
Sicherheitskräfte so aufgerüstet, wie es heute ganz normal erscheint.
Aber im Deutschland des Jahres 1972 war es schlicht unvorstellbar,
Besucher einer fröhlichen Sportveranstaltung zu filzen als wären sie
auf dem Weg in den Hochsicherheitstrakt einer Strafanstalt. Die
Öffentlichkeit war mit dem vorwurfsvollen Wort vom Polizeistaat rasch
bei der Hand, zumal in Deutschland. Zudem waren heitere Spiele
verordnet, von ganz oben. Selbst bei der Polizei ging es mehr um
modische Uniformen als um wirksame Bewaffnung. Die Republik war wie
versessen, das Bild von Pickelhauben und vom Säbelrasseln endgültig
abzulegen. Es war die Unschuld der Wirtschaftswunderjahre, in denen
Gewalt ganz weit weg zu sein schien – auch wenn ein paar
Wirtschaftswunderkinder mit der sozialreformerischen Gewalt in fernen
Ländern sympathisierten. Das Olympia-Massaker wurde somit auch zur
Quittung für Blauäugigkeit: Kaum jemand wollte zuvor wahrhaben, dass
Deutschland keine Insel der Seligen sein konnte. Immerhin war die
Lektion ebenso brutal wie wirksam. Die Besinnung kam gerade noch
rechtzeitig, um den Staat nicht völlig machtlos wirken zu lassen im
deutschen Terror-Herbst, der den Münchner Spielen folgte. Wer
bezweifelt, dass der Wandel zum wehrhaften Gemeinwesen unumgänglich
war, wird von den Münchner Bildern jener Tage eines Besseren belehrt.
Mehr als die trügerische Freiheit jener Jahre beeindruckt die
Ohnmacht eines Staates, der damals im Irrglauben lebte, er könnte
seine Probleme allein mit Geld und guten Worten lösen – und mit
Heiterkeit.
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