Badische Neueste Nachrichten: Die Kluft wird größer

Die Begegnungen mit zwei der mächtigsten Männer
dieser Welt waren für die Kanzlerin kontrastreich. Umarmungen und
transatlantische Herzlichkeiten mit Obama in Berlin, kaltes Abtasten
mit Putin in Sankt Petersburg. Der Fast-Eklat um das Beutekunst-Thema
hinterlässt weitere Wunden im deutsch-russischen Verhältnis. Nur dank
eines Räson-Aktes in höchster Not war Schlimmstes zu vermeiden. Putin
musste auf Merkels Stimme hören, sonst wäre die Ausstellung
„Bronzezeit – Europa ohne Grenzen“ erst gar nicht mit Berliner Segen
eröffnet worden. Ein Missklang im deutsch-russischen Jahr. Aber auch
ein Vorgang, der zeigt, dass sich die Kanzlerin international zu
artikulieren und wehren weiß. Die Haltung der Bundesregierung zur
Rückgabepflicht der Beutekunst mag weltweit auf differenzierte
Betrachtungen stoßen. Die Gesamtthematik ist hochkomplex. Strittige
Ausstellungsstücke befinden sich weltweit in Museen, wo sie
möglicherweise nicht hingehören. Das Recht der Kanzlerin war es aber,
zu einer besonderen Ausstellung besondere deutsche Ansichten zu
äußern, die selbstverständlich dem Kreml bestens bekannt sind. Ihr
das zu verwehren, war von vornherein unsittlich. Zumal die Moskauer
Argumente, Exponate wie der Goldschatz aus Eberswalde und die
Troja-Funde Schliemanns müssten in Petersburg bleiben, weil das die
Kriegs-Gräuel der Deutschen moralisch kompensiere, keineswegs
überzeugen, sondern regelrecht absurd erscheinen. Kann Kunstbesitz
Untaten heilen? Unterschiedlicher können Befindlichkeiten kaum sein.
Während die Kluft zu Russland größer wird, gewinnt das
deutsch-amerikanische Verhältnis an Zugkraft. Nach Obamas umjubeltem
Auftritt gab es zwar Stimmen, der amerikanische Präsident habe eine
gut gemeinte Routine-Ansprache von geringer historischer Bedeutung
gehalten. Routine ist in diesem Fall aber viel wert und Kritik daran
ein Luxus. Denn möglich ist Routine nur da, wo eine Freundschaft –
wie die transatlantische – zuverlässig, stabil und intakt ist. Von
Obama eine Kennedy- oder Reagan-Rede zu erwarten, wäre angesichts der
fehlenden geschichtlichen Herausforderung verfehlt gewesen. Obama ist
auch nicht mehr im Glorienschein der Change- oder Yes-We-Can-Formeln
anzusiedeln, wie das noch 2008 der Fall war. Er befindet sich in
seiner zweiten Amtszeit – und spricht schon aus diesem Grunde
abgeklärter. Nicht wenige werden dieses, gerade in Deutschland,
schätzen. Zweifelsohne ist der US-Präsident nach wie vor ein
gewinnender Anwalt der amerikanischen und internationalen Sache.
Seine Gesprächsbereitschaft in Sachen Guantánamo oder Spähaffäre
zeigt, dass kritische Solidarität für ihn zählt und Partner eben
nicht in ein Lager von Willigen und Unwilligen aufzuteilen sind. Hier
liegt nicht nur der größte Unterschied zu Bush, sondern auch zu
Putins Russland, das auf Kritik wie Vorschläge – im neuen
Supermachtstreben – schroff und provokant antwortet. Die Reaktion auf
Obamas geplante Atomsprengkopf-Reduzierung fiel im Kreml entsprechend
abweisend aus. Einmischung von außen in die „gelenkte Demokratie“,
die längst mehr Lenkung als Demokratie ist und Andersdenkende wie Lew
Ponomarjow gnadenlos verfolgt, erzürnt Russland noch mehr und führt
zu Repressalien, wie es die deutschen Stiftungen in Petersburg vor
dem Putin-Besuch bei der Hannover-Messe erfuhren. In der Syrien-Frage
bleibt Moskau der unbequeme Außenseiter und hält weiterhin die
schützende Hand über Assad. Der Streit um die Beutekunst ist vor
diesen Konflikten ein kleines Thema, ein Scharmützel. Doch die
Unnachgiebigkeiten und Starrheiten Russlands führen nun deutlich vor
Augen, wie wichtig die westliche Bündnisorientierung – in einer
Wertegemeinschaft – wieder ist. Gorbatschow war gestern. Obama – und
das Gegenmodell Putin – bilden das Heute.

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Klaus Gaßner
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