Badische Neueste Nachrichten: Es wird einsam

Das Geschäft mit der Angst blüht auch in der
Politik. Nahezu jeder dritte Franzose hat am vergangenen Sonntag
anti-europäisch gewählt, in den Niederlanden ist die Regierung am
Rechtspopulisten Geert Wilders gescheitert, der ähnliche
Ressentiments schürt – und auch in Griechenland bestimmen
europafeindliche Töne den Wahlkampf, mit dem Unterschied, dass sie
hier vor allem von ganz links kommen. Ein überzeugter Europäer zu
sein: Das ist im Moment in vielen Ländern Europas ein politischer
Wettbewerbsnachteil. Stattdessen hat das Dagegensein Konjunktur.
Schon in wenigen Wochen könnte sich Angela Merkel im Kreise ihrer
Kollegen so einsam fühlen wie ein Konservativer, der sich zur
Linkspartei verirrt. Ihre Politik der Schuldenbremsen und der soliden
Haushalte haben vor allem Männer wie Mark Rutte und Nicolas Sarkozy
mit durchgesetzt. Der eine, Rutte, ist gerade mit dem Versuch
gescheitert, die Niederländer konsequent zum Sparen zu zwingen. Der
andere, Sarkozy, droht in der Stichwahl einem Rivalen zu unterliegen,
der Europa mit einem Wachstumspakt beglücken will. Wachstum
allerdings heißt bei François Hollande vor allem eines: Mit neuen
Schulden finanzierte Konjunkturprogramme. Die Kanzlerin selbst hat
zwar ebenfalls ein eher pragmatisches Verhältnis zu Europa – die
diplomatische Gelassenheit jedoch, mit der das offizielle Berlin die
Ereignisse in Frankreich und den Niederlanden kommentiert, täuscht.
Angela Merkel geht es wie den Börsen, die auf die Nachrichten aus
Paris und Den Haag mit einem kräftigen Kursrutsch reagiert haben: Sie
fürchtet, dass Europa wieder auf einen gefährlichen und abschüssigen
Weg gerät – und das aus gutem Grund. Je mehr Länder jetzt den Pfad
der Konsolidierung verlassen, umso angreifbarer wird die Eurozone
wieder und umso teurer werden künftige Rettungsmaßnahmen dann auch
für Deutschland. Der Versuch, Europa mit deutschen Tugenden wie
Sparsamkeit und Disziplin zu sanieren, wäre damit gescheitert. Schon
jetzt ist Angela Merkel in Griechenland, Spanien oder Portugal die
Buhfrau schlechthin. Ihren Fiskalpakt konnte sie den anderen Staaten
nur aufzwingen, weil sie mit Sarkozy einen mächtigen Verbündeten
hatte und die Allianz Berlin-Paris bislang stärker ist als jede
andere in Europa. In dem Moment jedoch, in dem ein Wahlsieger
Hollande versucht, dieses Reformpaket noch einmal aufzuschnüren oder
mit Hilfe seines Wachstumspaktes zu entschärfen, stünde auch die
mächtige Kanzlerin auf verlorenem Posten. Gleichzeitig würde der
Druck auf Berlin wachsen, Schulden mit Hilfe der umstrittenen
Eurobonds zu vergemeinschaften. Auch innenpolitisch ist die Situation
für Angela Merkel nicht frei von Risiko. Der verführerischen
Schlichtheit, mit der Hollande für einen Spitzensteuersatz von mehr
als 70 Prozent und ein Absenken des Rentenalters wirbt, kann sich die
SPD nicht entziehen. Ein Triumph des Sozialisten würde Parteichef
Sigmar Gabriel nur ermuntern, den Bundestagswahlkampf im nächsten
Jahr ähnlich zu gestalten. Sparpakete sind in Deutschland so
unpopulär wie in den Niederlanden oder in Griechenland, da ist die
Versuchung groß, anstatt über Haushaltsdisziplin und
Wettbewerbsfähigkeit zu reden lieber mit viel Pathos die Solidarität
im Allgemeinen und die in Europa im Besonderen zu beschwören.

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Badische Neueste Nachrichten
Klaus Gaßner
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