Manchmal verändert nur eine Vorsilbe die Lage.
Im Russischen gibt es das Wort „Wystuplenije“ (Auftritt) und das Wort
„Prestuplenije“ (Verbrechen). Es ist dieser buchstäbliche „Schritt“
(„stupat“), der die Bedeutungen trennt. Ein Schritt, der den
„Auftritt“ der drei Frauen von „Pussy Riot“, wie sie ihr „Punkgebet“
in der größten russischen Kirche nennen, zu einem „Verbrechen“ macht,
wie es ein Moskauer Bezirksgericht bereits im August feststellte und
das Moskauer Stadtgericht nun in einem Berufungsverfahren bestätigte.
Denn auch, wenn die Richterin gestern ein Mitglied von „Pussy Riot“
auf Bewährung freiließ, bleiben zwei von ihnen weiter in Haft. Die
Verurteilung, religiösen Hass geschürt zu haben, bleibt auch nach der
Revision bestehen. Ein Freispruch ist es nicht. Von der Freude bis
zur Ernüchterung bleibt so auch nur ein kleiner Schritt. Die Tat von
„Pussy Riot“ war eine politisch motivierte, was sie nie zu betonen
vergessen. Dass sie mit ihrem krass formulierten Gebet, wofür sie
sich bei Gläubigen entschuldigt hatten, die starke Verbindung
zwischen Kreml und Kirche angeprangert haben, gerät allerdings – von
russischen Staatsmedien angefeuert – im Volk in Vergessenheit. Die
Regierung schlägt mit diesem Urteil zwei Fliegen mit einer Klappe.
Sie kann zum einen sagen, auch russische Gerichte können ihre Urteile
revidieren, zum anderen erfüllt sie die Erwartungen des konservativen
Teils der Gesellschaft, die mit der anarchischen Kunst von „Pussy
Riot“ nichts anfangen können. Zudem kann der Kreml auch seine
innenpolitische Botschaft verstärken: Wir lassen uns nicht von außen
beeinflussen. „Pussy Riot“ bleiben ein Spielball der Interessen: Sie
nutzen dem Kreml, aber auch der radikal gestimmten russischen
Opposition.
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Klaus Gaßner
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