Die Schonfrist ist vorbei. Joachim Gauck steht
vor einer weitreichenden Entscheidung, die das politische System der
Bundesrepublik fundamental verändern wird: Unterschreibt er den
Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der
Wirtschafts- und Währungsunion, kurz Fiskalpakt genannt, den
Bundestag und Bundesrat am Freitag jeweils mit einer
Zwei-Drittel-Mehrheit verabschieden wollen, oder verweigert er dem
Gesetz seine Unterschrift? Der Fiskalpakt ist mehr als ein bloßer
Vertrag zwischen Regierungen. Er schränkt vielmehr massiv die
souveränen Hoheitsrechte der Mitgliedsstaaten der EU ein und bricht
das „Königsrecht“ der Parlamente, allein und ausschließlich über alle
Einnahmen und Ausgaben des Staates zu entscheiden, da Brüssel das
Recht erhält, bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin in die
Budgetplanung einzugreifen. Bundestag und Bundesrat sind bereit,
diesem Verlust an eigenen Kompetenzen mit der notwendigen
verfassungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit zuzustimmen und somit den
Weg frei zu machen, dass auch Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik
Teil der europäischen Innenpolitik wird. Aber selbst diese doppelte
Zwei-Drittel-Mehrheit reicht nicht aus, da die Mütter und Väter des
Grundgesetzes zwei weitere mächtige und unabhängige Instanzen
eingebaut haben, die über den Gesetzgeber wachen: den
Bundespräsidenten und das Verfassungsgericht. Das ist kompliziert und
zeitraubend, bürgt aber für ein Höchstmaß an Kontrolle. Der
Fiskalpakt beseitigt die Geburtsfehler der Europäischen
Einheitswährung und zieht die Konsequenzen aus dem Scheitern des
Maastricht-Vertrags, den die Euro-Staaten in geradezu fahrlässiger
Weise außer Kraft gesetzt haben. Merkels Konzept, die
Mitgliedsstaaten der Euro-Zone auf strikte Haushaltsdisziplin zu
verpflichten und Brüssel mehr Kompetenzen zu geben, ist richtig. Aber
die Bundesregierung darf diesen Weg nicht alleine gehen, wie das
Verfassungsgericht eben erst der Exekutive ins Stammbuch geschrieben
hat: Demokratie hat ihren Preis. Im föderalen Gefüge der
Bundesrepublik müssen der Bundestag wie die Länder einbezogen werden.
Auf Dauer aber reicht auch dies nicht. Die schleichende Aushöhlung
des Grundgesetzes durch die Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte
und die latente Entmachtung der Parlamente der Mitgliedsstaaten mag
unumkehrbar und im Interesse Deutschlands sogar notwendig sein, und
doch bedarf dieser Prozess einer demokratischen Legitimation durch
den Souverän – das Volk. Weniger Deutschland, mehr Europa, am Ende
sind selbst fünf Verfassungsorgane zu wenig, das zu entscheiden. Das
letzte Wort muss der Bürger haben. Und das eher früher denn später.
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