BERLINER MORGENPOST: Der Führungsstreit wird weitergehen/ Ein Leitartikel von Joachim Fahrun

Mehrheit ist Mehrheit. Aber 68 Prozent ohne
Gegenkandidaten sind für den Landesvorsitzenden einer
Regierungspartei eben kein stolzes Ergebnis. Zumal eine Woche vor der
Europawahl und der für die SPD überaus bedeutenden Volksabstimmung
über das Tempelhofer Feld.

Fast jeder dritte Delegierte beim Landesparteitag der Berliner SPD
hat Jan Stöß bei seiner Wiederwahl die Gefolgschaft verweigert. Ein
Mandat der Partei, nun unbedingt nach dem Amt des Regierenden
Bürgermeisters greifen zu können, kann der Verwaltungsrichter aus
dieser Wahl kaum ableiten.

Das Ergebnis ist noch nicht einmal ehrlich. Sicherlich haben
Delegierte, die lieber den Fraktionschef Raed Saleh oder einen
anderen Politiker an der Spitze der Berliner SPD gesehen hätten, um
der viel beschworenen Geschlossenheit Willen für Stöß gestimmt. Wenn
Saleh angetreten wäre, wie er es erwogen hatte, wäre wohl ein
50-zu-50-Resultat herausgekommen.

Aber der junge Fraktionschef hat sich gegen eine Kampfkandidatur
entschieden. Und so dürfte der Führungsstreit in der Berliner SPD
weitergehen. Wer wann Nachfolger von Klaus Wowereit werden soll, ist
weiter offen. Der Parteitag brachte keine Hinweise darauf, dass sich
die Lager angenähert hätten. Nur die Sehnsucht vieler
Sozialdemokraten nach einer Führung, in der Senat, Fraktion und
Landesvorsitzender nicht länger gegeneinander arbeiten, war deutlich
zu spüren. Dieser Druck von unten dürfte nun zu einem Burgfrieden
führen. Klaus Wowereit, der mit einem flammenden Plädoyer für
Wohnungen in Tempelhof noch einmal Feuer aufblitzen ließ, muss sich
auf die Partei zubewegen. Saleh, dessen Fraktion geschlossen dasteht,
muss sich vorerst zurückhalten. Und Stöß wird nicht darum
herumkommen, auf seine Gegner zuzugehen.

Der erste Test für die mühsame Einigkeit der Berliner SPD könnte
schon nächste Woche anstehen. Wenn Europawahl und die Volksabstimmung
zu Tempelhof für die SPD schief gehen, könnten Schuldzuweisungen die
Wunden aufreißen. Letztlich wird die Berliner SPD nur nach vorne
kommen, wenn sich die Protagonisten auf einen vernünftigen,
einvernehmlichen Weg der Nachfolgeregelung verständigen. Dazu müsste
einer der Herren sein Ego hintenanstellen. Das wäre im Interesse der
Stadt. Denn Berlin leidet unter der Blockade in der SPD.

Der Leitartikel im Internet: www.morgenpost.de/128127053

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