BERLINER MORGENPOST: Die Rückkehr des Systems Mehdorn – Leitartikel

Bahn-Chef Rüdiger Grube und der Konzern, den er
führt, haben eins gemeinsam: Beide besitzen zwei Gesichter. Oder
besser: zwei völlig unterschiedliche Seiten. Der amtierende
Vorstandschef war auch deshalb ein Nachfolgekandidat für das Raubein
Hartmut Mehdorn, weil er jovial auftreten und Menschen für sich
gewinnen kann. Doch seit dem Tauziehen um das Milliardenprojekt
Stuttgart 21 liegen auch bei diesem Bahn-Chef die Nerven blank. Und
so wird der nette Herr Grube gelegentlich zum Poltergeist. Und die
Bahn selbst präsentiert sich zwar im Ausland als Europas größte
Güterverkehrsbahn, als Nummer zwei in der weltweiten Luftfracht und
Nummer drei in der Seefracht. Sie schluckt sogar in den USA oder
Großbritannien problemlos ganze Milliardenkonzerne. Im Inland jedoch
bietet sie weiterhin oft genug ein Bild des Jammers. Grube sucht den
Befreiungsschlag – nachdem er im Konzernvorstand und bei der Berliner
S-Bahn ausgekehrt und Spitzenmanager gefeuert hat, entlässt er nun
seinen Fernverkehrschef samt dessen Team. So sieht Krisenmanagement
bei der Bahn aus. Im Bahntower windet man sich mit einer Erklärung
dem Rauswurf von Nikolaus Breuel, dem Sohn der ehemaligen
Treuhand-Chefin. Nein, so wird beteuert, diese Ablösung habe nichts
mit den Problemen bei den ICE-Zügen zu tun. Nichts mit dem Chaos im
Winter, bei den Klimaanlagen oder mit den ständigen Verspätungen.
Aber natürlich hat sie das. Liefe im Fernverkehr alles rund, könnte
und würde Bahn-Chef Grube seinen „Mister ICE“ nicht auswechseln. Die
Frage ist allerdings, ob es reicht, einfach erneut eine Handvoll
Vorstände auszutauschen. Fahren die Züge im Land dann störungsfreier,
pünktlicher, sind sie sauberer? Vermutlich nicht. Die S-Bahn Berlin
ist weiterhin ein Problemfall, obwohl der Chef gefeuert wurde. Köpfe
austauschen reicht nicht, um die Schienenprobleme im Land in den
Griff zu bekommen. Dafür ist das System Schiene zu komplex, unzählige
Rädchen greifen ineinander – und jede Störung stört sofort das
Gesamtsystem. Die ICE oder S-Bahnen können nicht zuverlässig fahren,
wenn die Bahnindustrie die Defekte gleich serienmäßig mitliefert oder
wenn an der Wartung gespart wird. Und ordentliche Züge bekommt man
nur dann, wenn man neben dem Preis auch auf die Qualität achtet. Zu
guter Letzt können die Züge nicht pünktlich sein, wenn die
Konzerntochter DB Netz überall im Land die Trassen flickt – was
zweifellos nötig ist, aber eben den Fahrplan durcheinanderbringt. All
das muss koordiniert werden – und die Fäden für diese Mammutaufgabe
laufen beim Konzernvorstand zusammen. Bei Rüdiger Grube. Nun belässt
es der Bahn-Chef nicht nur bei Personalpolitik. Er hat dem Konzern
zudem ein Qualitätsprogramm verordnet. Und niemand zweifelt daran,
dass es Grube damit wirklich ernst ist. Das ehrgeizige Programm hat
nur einen Schönheitsfehler: Die Gewinnziele für die nächsten Jahre
sind mindestens genauso ambitioniert. Was Grube will, ähnelt fatal
der Strategie seines Vorgängers Mehdorn: Er will international
wachsen, riesige Konzerne kaufen, dabei noch mehr Gewinn – und am
Ende den deutschen Schienenverkehr flottmachen. Aber: All das
zusammen kann nicht gelingen.

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