An Warnungen hatte es Berlins Finanzsenator seit 
Monaten nicht fehlen lassen. Wenn der Zensus vorliege, werde das zu 
Einnahmeverlusten führen, hatte Ulrich Nußbaum (parteilos, für die 
SPD) zuletzt in seine Ausblicke auf die finanzielle Zukunft der Stadt
geschrieben. Dass es aber derartig schlimm kommen würde, ist dann 
doch ein Schock.
   Nun kann sicherlich auch der lokalpatriotische Berliner damit 
leben, dass seine Metropole eben doch noch nicht in den Club der 
Städte mit mehr als dreieinhalb Millionen Einwohnern zurückgekehrt 
ist. Aber auch der Zensus hat ergeben, dass die Einwohnerzahl in der 
letzten Zeit deutlich gewachsen ist und Berlin mit seiner Dynamik an 
der Spitze aller Bundesländer liegt. Aber für die ohnehin angespannte
Haushaltslage sind die knapp 180.000 Einwohner, die statistisch mit 
einem Mal verloren gegangen sind, eine Katastrophe.
   Eine knappe halbe Milliarde Euro wird die Stadt nun pro Jahr 
weniger aus dem Länderfinanzausgleich bekommen, der immerhin jeden 
sechsten Euro in den Landesetat bringt. Weil die Berechnungen ab dem 
Zensus-Stichtag vom Mai 2011 neu zu erstellen sind, muss Berlin auch 
fast eine Milliarde Euro für 2012 und 2013 zurückzahlen. Selbst wenn 
der Finanzsenator bisher für das laufende Jahr von stark steigenden 
Steuereinnahmen ausgehen kann, ist klar: Ein ausgeglichener Haushalt 
für 2013 ist kaum mehr zu schaffen.
   Dem Finanzsenator liefern die Ergebnisse der Volkszählung vor dem 
im Juni geplanten Senatsbeschluss zum Haushaltsplan 2014/15 ein paar 
gute Argumente, Forderungen der anderen Senatoren abzuwehren. Eine 
halbe Milliarde Euro dauerhaft weniger Einnahmen, das entspricht fast
der Hälfte aller Ausgaben für Kitas oder zwei Dritteln der Kosten der
Kultur. Berlin erlebt jetzt schon einen Vorgeschmack auf die Zeit 
nach 2019. Denn dann läuft das System des Länderfinanzausgleichs aus.
Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass die zahlungsunwilligen 
Südländer die Berliner dann weniger üppig alimentieren werden als 
bisher.
   An den Problemen der Stadt ändert sich jedoch wenig, weil 
statistisch 180.000 Einwohner verschwunden sind. Der 
Wohnungsleerstand ist auch im Zensus nicht gerade üppig, die 
Integrationsprobleme einiger Zuwanderer und der Bildungsnotstand in 
vielen Schulen schrumpfen nicht, weil 100.000 Ausländer doch nicht in
Berlin leben.
   Angesichts der horrenden Dimensionen der Fehlannahmen müssen sich 
Statistiker und Meldeämter nun kritische Fragen gefallen lassen. 
180.000 Menschen, die es offiziell nicht gibt, sind fast so viele wie
Spandau Einwohner hat. Es ist ja noch nachvollziehbar, dass sich 
nicht alle Menschen abmelden, wenn sie wegziehen. Aber man fragt 
sich, wie es sein kann, dass die Behörden von 40.000 mehr Wohnungen 
ausgegangen sind als nun gezählt wurden. So zeigt der Zensus erneut, 
dass Statistiken eben doch mit Vorsicht zu genießen sind. Und dass es
als Hilfsmittel für Politik und Verwaltung nötig ist, genauer 
hinzuschauen und sich nicht nur auf Rechenmodelle zu verlassen.
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