BERLINER MORGENPOST: Ein paar Euro mehr lösen die Hartz-Probleme nicht – Leitartikel

Der Hartz-IV-Satz soll erhöht werden und dann
jährlich steigen. Für mehr als 600.000 Menschen in Berlin ist das
zunächst mal eine gute Nachricht. Der Bundesregierung bleibt kaum
etwas anderes übrig. Wer behauptet, die bisher 359 Euro Regelsatz
seien nicht Resultat einer politischen Entscheidung über das, was der
Staat seinen Armen zukommen lassen will, sondern Ausfluss einer
rationalen Kalkulation, muss diese Leistung auch irgendwann
veränderten Bedingungen anpassen. Ein paar Euro mehr seien den
Menschen gegönnt. Im Grundsatz wird das jedoch wenig ändern.
Regelsatz plus Miete und Versicherung reichten schon bisher für ein
bescheidenes und diszipliniertes Leben, zumal im armen Berlin. Wenn
die aufgeregte Soziallobby behauptet, man könne mit Hartz IV seine
Kinder nicht anständig ernähren, ist das ein Affront gegen die
Hunderttausenden, die genau das jeden Tag in Würde schaffen. Und
gegen diejenigen, die mit Arbeit nicht viel mehr bekommen, sowieso.
Niemand möge sich jedoch Illusionen hingeben: Der Frust über Hartz IV
wird nicht schwinden. Die wenigsten Langzeitarbeitslosen erwarten von
der Abgaben zahlenden Gemeinschaft eine Alimentierung auf üppigerem
Niveau. Aber sie erwarten, dass sie ernst genommen werden. Genau das
geschieht in den Jobcentern, die die Arbeitsfähigen unter den
Hartz-IV-Beziehern betreuen sollen, eben viel zu selten. Der Unmut
über sinnlose Beschäftigungsmaßnahmen und den x-ten
Qualifizierungskurs ist verbreitet. Im Jobcenter Mitte ergab eine
interne Prüfung, dass ein hoher Anteil von geförderten Jobs
unrechtmäßig vergeben wurde. 100.000 Klagen sind bei Berlins
Sozialgerichten eingegangen, seit es Hartz IV gibt. Das heißt, jede
vierte Bedarfsgemeinschaft hat sich schon an ein Gericht gewandt. Das
mussten sie, weil die Verheißung der Hartz-IV-Gesetze, jeder sollte
einen persönlichen „Fallmanager“ haben und mit ihm individuell seine
Probleme besprechen können, nie eingelöst wurde. Im Jobcenter kann
man noch nicht mal anrufen, um zu seinem Bescheid eine Frage
loszuwerden. So endet jede zweite Klage zumindest mit einem
Teilerfolg der Arbeitslosen, weil die Behörde fehlerhaft gearbeitet
hat. Natürlich gibt es Arbeitslose, die machen es sich bequem.
Natürlich darf eine Behörde Leute sanktionieren, die nicht mitziehen.
Aber die Legitimation für solches Fordern wäre größer, wenn es mit
dem Fördern besser funktionierte. In den Jobcentern zeigt sich immer
noch ein Staatsversagen, das besser organisierte Gruppen der
Gesellschaft als Langzeitarbeitslose niemals hinnehmen würden. Wenn
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen die Missstände in der Praxis
nicht behebt, zielt sie am Kern des Problems vorbei.

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