Ein 65. Jahrestag ist ja eigentlich kein Anlass für
besondere Gedenkveranstaltungen. Wenn Bundesrat und Bundestag am
Freitag dennoch an die Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai
1949 erinnerten, hatten sie besten Grund dazu. Diese Verfassung ist
die beste, die dieses Land je hatte. Auf ihr gründet fest unser
freiheitliches, pluralistisches und demokratisches Gemeinwesen. Sie
ist eine Antwort auf die Zeit dunkelster deutscher Geschichte,
schreibt keine Gesellschaftsordnung en détail fest und ist flexibel,
um neue gravierende Herausforderungen aufzunehmen. Angesichts dieser
Erfahrung von sechseinhalb Jahrzehnten gilt unverändert die Mahnung,
das Grundgesetz vor Änderungen zu bewahren, die allein dem Zeitgeist
geschuldet sind.
Welcher Freiheitsgeist vom „GG“ ausgeht, wurde in der Feierstunde
des Bundestags einmal mehr deutlich. Mit dem Deutsch-Iraner Navid
Kermani hielt kein Schönredner die Festrede, sondern ein
Intellektueller, der Deutschlands im Grundgesetz verbrieftes Recht
auf Asyl für politisch Verfolgte als zu eng und „herzlos“
anprangerte. Darüber lässt sich streiten. Aber dass ein solcher
Disput selbst an einem Tag wie dem gestrigen geradezu gewollt ist,
spricht für Toleranz und Liberalität, die ihresgleichen sucht.
Deutschland ist keineswegs so abgeschottet, wie Kritiker
behaupten. Dieser Tage vermeldete die OECD, dass Deutschland zu einem
attraktiven Einwanderungsland geworden ist. Mit einer Zuwanderung von
400.000 Menschen, etwa zwei Drittel von ihnen meist gut ausgebildete
Fachkräfte aus EU-Staaten, rangiert Deutschland gleich hinter Amerika
und vor den klassischen Einwanderungsländern Kanada und Australien.
Das wurzelt nicht ursächlich, wohl aber flankierend auch in unserer
freiheitlichen Grundordnung. Angesichts der demografischen
Entwicklung mit ihren fatalen Folgen für den Arbeitsmarkt aber ist es
vor allem eine höchst erfreuliche Entwicklung von hoffentlich nicht
nur kurzer Dauer.
Lange ist darüber gestritten worden, ob Deutschland ein
Einwanderungsland ist. Die Zahlen belegen: es ist eins. Das verlangt
eine neue Offenheit der Deutschen und Integrationsbereitschaft von
denen, die – aus welchen Gründen auch immer – zu uns kommen. Probleme
bleiben nicht aus. Wieder ist es das Grundgesetz, das den Weg weist.
Im Verbund mit den Gesetzen setzt es den Rahmen für alles
Zusammenleben. Und der gilt uneingeschränkt für alle. Für ihr weises
Werk schulden wir den Verfassungsmüttern und Verfassungsvätern
immerwährenden Dank.
Der Leitartikel im Internet: www.morgenpost.de/128358819/
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de
Weitere Informationen unter:
http://