BERLINER MORGENPOST: Eltern wollen Wahlfreiheit Leitartikel von Christine Richterüber den Vorschlag der Berliner SPD, den Kita-Besuch zur Pflicht zu machen

Geht es nach der Berliner SPD, sollen die Eltern
verpflichtet werden, ihre Kinder spätestens ab dem dritten Lebensjahr
in die Kita zu schicken. Diesen Vorschlag hat jetzt der Berliner
SPD-Fraktionschef Raed Saleh gemacht – unter Hinweis auf eine Studie,
die Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) in dieser Woche
vorstellte. Demnach verbessern sich die Sprachkenntnisse von
Migrantenkindern deutlich, wenn sie länger als zwei Jahre eine Kita
besucht haben. Auch die gesundheitliche Entwicklung verläuft nach
einer längeren Kita-Betreuung etwas besser.

So weit, so gut. Aber warum fällt den Sozialdemokraten immer nur
ein, bei Problemen oder auffälligen Entwicklungen eine neue Pflicht
einzuführen, eine neue Regel aufzustellen? Gerade in der
Familienpolitik sollten sich die SPD, aber auch alle anderen Parteien
zurückhalten. Denn eins wollen Eltern nicht: zwangsbeglückt werden.
Jede Familie, jede alleinstehende Mutter oder Vater möchten selbst
entscheiden, was die beste Lösung für ihr Kind ist. Den Nachwuchs
ein, zwei, drei Jahre bis zur Einschulung zu Hause erziehen, nach
einem Jahr wieder halbtags oder auch Vollzeit arbeiten gehen und das
Kind bei einer Tagesmutter oder in der Kita gut betreut wissen, die
Jungen und Mädchen nur stundenweise oder auch ganztags mit anderen
Kinder zusammenbringen – es gibt so viele Möglichkeiten, über die die
Familien selbst bestimmen wollen. Sicherlich, es ist ein Unterschied,
ob es sich bei den Familien – egal ob deutsche oder
Migranten-Familien – um sozial starke, gut verdienende, oder um
sozial schwache handelt. Bei manchen gibt es keinerlei Probleme, wenn
die Kinder die ersten Jahr zu Hause aufgezogen werden, bei anderen
schon.

Entscheidend, auch in Berlin, ist doch, ob die Familien die
Wahlmöglichkeiten haben. Gibt es genügend Krippen- und Kita-Plätze,
gibt es genug Plätze für Halb- oder Ganztagsbetreuung? Vor Ort in der
Innenstadt, nicht nur in den Außenbezirken? Sind die Zeiten flexibel?
Bietet der Arbeitgeber die Möglichkeit, als Mutter oder Vater wieder
berufstätig zu sein, trotz des kleinen Kindes?

In Berlin sind – verglichen mit den anderen Bundesländern – das
Kita-Angebot schon groß und die Plätze kostenlos. Wenn es nach wie
vor die Migrantenfamilien sind, die auf einen Kitaplatz für ihren
Nachwuchs verzichten, dann sollten die politisch Verantwortlichen
dies gezielt angehen. Mit Beratung der Eltern beim Kinderarzt, mit
den bewährten Stadtteilmüttern, mit Sprechstunden in den Vereinen der
jeweiligen Communities. Denn natürlich ist es sinnvoll, wenn die
Migrantenkinder zwei oder drei Jahre lang eine Kita besuchen und dann
mit guten, mit besseren Deutsch-Kenntnissen in die Schule starten.
Aber davon muss man die Eltern überzeugen, nicht sie dazu zwingen.
Das ist die hohe Kunst der Politik.

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