BERLINER MORGENPOST: Es geht um mehr als nur ums Geld – Leitartikel

Es ist ein deutliches Zeichen eine Woche vor der
Abgeordnetenhauswahl: Heute wollen wieder Tausende Lehrer, Eltern und
Schüler auf die Straße gehen, um für eine bessere Bildung in Berlin
zu demonstrieren. Sie fordern mehr Lehrer- und Erzieherinnen-Stellen,
mehr Kita-Plätze, bessere Arbeitsbedingungen für die Pädagogen und
weitere Investitionen in die Schulgebäude und die Schulsportstätten.
Es geht also um viel Geld, doch nicht nur. Die Forderungen der
Demonstranten sind völlig berechtigt. Erst vor wenigen Wochen ist
Berlin im bundesweiten Bildungsmonitoring auf dem letzten Platz
gelandet. Und dies, obwohl Berlin immer noch viel mehr Geld in die
Bildung investiert als beispielsweise Baden-Württemberg oder Bayern.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) betont zwar stets,
dass in dieser Studie auch nachgewiesen worden sei, dass Berlin sich
am dynamischsten in der Bildung entwickele und sehr viel für die
Schüler tue. Das mag ja sein, aber es reicht halt doch nur zum
letzten Platz. Und ein Konzept gerade für die Schulen, an denen der
Migrantenanteil weiter steigt, an denen immer mehr Kinder aus
Hartz-IV-Familien eingeschult werden, deren Eltern oftmals nur wenig
Wert auf Bildung legen, hat der rot-rote Senat bis heute nicht
vorgelegt. Wundert sich eigentlich noch jemand, dass in Berlin immer
mehr Privatschulen gegründet werden? 322 dieser Schulen gibt es
inzwischen in Berlin – das heißt, jede dritte Schule in der deutschen
Hauptstadt wird privat geführt. Die Eltern haben offensichtlich das
Vertrauen in den Staat verloren. Alle Parteien, allen voran die SPD,
die seit vielen Jahren den Bildungssenator in Berlin stellt, hat für
die Zeit nach der Wahl den Schulfrieden ausgerufen. Das klingt erst
einmal gut, ist aber nichts anderes als die Erkenntnis, dass man mit
mehr als 20 Reformen den Berliner Schulen viel zu viel zugemutet hat.
Damit eine Reform auch wirken kann, brauchen die Schulen Zeit. Sie
müssen Erfahrungen sammeln, nachbessern können. Schulfrieden darf
aber nicht bedeuten, dass in den Schulen gar nichts mehr geschieht.
Beispielsweise beim jahrgangsübergreifende Lernen (Jül), bei dem in
der Grundschule Kinder aus mehreren Jahrgängen in einer Klasse
unterrichtet werden. Ein Konzept, das in der Realität nicht
funktioniert, weil es zu wenig Lehrer gibt, weil in den
Brennpunktschulen zu viele Migrantenkinder zu schlechtes Deutsch bei
der Einschulung sprechen. Das heißt: Jül muss freiwillig werden.
Schulen, die gut ausgestattet sind und sich Jül zutrauen, sollen
diesen Unterricht anbieten können, die anderen darauf verzichten
dürfen, ohne dass ihnen Nachteile entstehen. Am 18. September haben
die Berliner die Wahl, erst recht beim Thema Bildung, wo die Parteien
doch sehr unterschiedliche Vorstellungen haben. Und mit dem
ausgerufenen Schulfrieden sollte sich kein Wähler zufriedengeben. Die
Schulen brauchen sicherlich keine neue Unruhe und keine neue
grundlegende Reform, aber sie brauchen auch keinen trügerischen
Frieden. Es liegt noch so vieles im Argen. Was Berlin braucht, ist
eine Offensive für die Bildung.

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