Eigentlich sollte die Neuauflage einer Koalition
auch nach einer für alle Partner unerfreulich verlaufenen Wahl eine
lösbare Aufgabe sein. Doch die Vorstellung, die CDU, CSU und SPD
seither bieten, ähnelt einer Groteske.
Die Stimmen waren noch nicht ausgezählt, da legte sich der
verzagte SPD-Chef Martin Schulz auf Opposition fest. Und die
geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel analysierte, die SPD sei im
Bund auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig. Gar nicht ins Kalkül
zu ziehen, dass die Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis misslingen
können, war jedenfalls kein Ausweis politischer Weitsicht.
Zwei schlichte Erkenntnisse sind seit der Wahl aus dem Blick
geraten: Ein Koalitionsvertrag ist eine Absichtserklärung, nicht mehr
und nicht weniger. Regierungsparteien müssen auch Unvorhergesehenes
gestalten – und Vereinbartes überprüfen. Dass Union und SPD dazu
imstande sind, haben sie in der Finanzkrise 2008/09 gezeigt.
Und zweitens: Neuwahlen sind tatsächlich kein Ausweg, das zeigt
schon ein Blick auf die Umfragen. Wieder wären wohl nur zwei
Konstellationen möglich – große Koalition und Jamaika.
Wer sich Illusionen gemacht hatte über die Haltung der SPD-Basis
zur GroKo, erfuhr beim Sonderparteitag einen heilsamen Schock. Und
jetzt sollen die Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag
abstimmen. Dieses Verfahren ist dem tief sitzenden Misstrauen einer
waidwunden SPD gegenüber ihrer Führung geschuldet, offenbart
allerdings ein eigenartiges Verständnis der repräsentativen
Demokratie. Mehr als 80 Millionen Menschen in Deutschland hängen vom
Votum nicht einmal einer halben Million Sozialdemokraten ab.
Seit ihrem Parteitag erlebt die SPD einen unheimlichen
Mitgliederzuwachs. Juso-Chef Kevin Kühnert, ein talentierter
Anti-GroKo-Aktivist, ist sich seiner Sache sicher: Ein neues Bündnis
mit Merkel wird es nicht geben. Es wäre absurd, behielte Kühnert
recht.
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