Was haben der abgetretene Papst Benedikt und
Telekom-Chef René Obermann, was WDR-Intendantin Monika Piel und die
frühere Ober-Piratin Marina Weisband gemeinsam? Was vereint
Linde-Boss Wolfgang Reitzle und FDP-Anführer Philipp Rösler? Alle
gaben oder geben ihren Führungsposten auf, freiwillig, meist
überraschend, ohne größere Not. Sie verzichten auf Ruhm und Einfluss,
manche auf Geld, alle auf Popularität. Woher diese plötzliche
Führungsmüdigkeit? Was bewog Rösler bereits im Alter von 35 Jahren,
seine politische Laufbahn auf exakt zehn Jahre zu terminieren? Galt
es nicht als größtes Ziel moderner Menschen, sich wie Rocky bis nach
ganz oben hochzuboxen, um für den Rest des Lebens über rote Teppiche
zu flanieren, Austern zu knacken und ein Heer von Schranzen zu
kommandieren? Die jüngsten Anmerkungen der Söhne von Helmut Kohl
weisen darauf hin, dass die Sehnsucht nach Ruhm, gern in historischem
Ausmaß, gleich mehrere Leben überwältigt hat.
Offenbar macht Macht nicht mehr denselben Spaß wie früher. Wer
etwas zu sagen hat, steht dieser Tage unter Totalverdacht. Nicht ganz
zu Unrecht: Um im globalen Wettbewerb zu bestehen, muss bis über
manche Schmerzgrenze hinweg jeder Cent gespart werden, ob auf Kosten
der Umwelt in China, ob beim Tierfutter im Schweinestall oder ob auf
Kosten der Menschenrechte in der T-Shirt-Näherei in Bangladesch.
Politische Kuhhandel, die früher als Kompromiss durchgingen, werden
heute gnadenlos offengelegt. Jede Großorganisation hat graue bis
dunkelgraue Zonen.
So wird Führen in Zeiten der digital befeuerten Adhoc-Hysterie zum
fortwährenden Krisenmanagement und der Anführer zum
Generalverantwortlichen. Langfristige Entscheidungen werden vom
habituellen Alarmismus vereitelt. Wer führt, darf auf keinen Fall
visionär oder schräg oder verwegen daherkommen, sondern muss
gnadenlos authentisch hobbygärtnerisch sein. Jedes Interview eine
lächelnde Farce. Freiheit? Gestaltung? Mal Abschalten gar?
Fehlanzeige.
Führungspersönlichkeiten, die diese gnadenlosen Mechanismen
erkennen, kommen eines Tages fast unweigerlich an den Punkt der
Resignation. Öffentlicher Druck, so ergab jüngst eine Studie der
Sporthochschule Köln, treibt viele Leistungssportler in die
Depression. Warum sollte es bei Führungskräften anders sein? Wer also
durchblickt, wird sich eines Tages die Frage stellen: Warum tut man
sich diesen Irrsinn eigentlich an? Kein Diensthubschrauber, keine
Suite ist einen Selbstmord auf Raten wert.
Der unschöne Begleiteffekt: Viele Gute gehen, im
Selbstbewusstsein, dass sich eine andere Aufgabe schon finden wird.
So bleiben oft die Steinbrücks, die zwar irre stolz auf ihre
Führungsrolle sind, sie aber kaum auszufüllen vermögen, weder
menschlich noch inhaltlich. Und weil wenige mittelmäßige Steinbrücks
viele noch Schwächere rekrutieren, kommt eine Negativspirale
schlechter Führung in Schwung. Wir stecken derzeit mittendrin, in
nahezu allen Bereichen. Höchste Zeit, gute Führung als Kunst zu
rehabilitieren.
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