Nach der SPD im Bund werben nun auch CDU und Grüne
in Hessen an ihrer Basis um Zustimmung für eine Koalition, die keine
der beiden Parteien vor der Wahl für möglich gehalten hat. Doch seit
die politischen Lager aufgebrochen sind, scheint Deutschland
zumindest koalitionspolitisch auf dem Weg in ein höchst bewegliches,
reformfreudiges Land. Schon im Bund hätte es ja eine Premiere
gegeben, wären die Grünen etwas mutiger gewesen. Nun gibt es also als
vorgeschalteten Test Schwarz-Grün in Hessen.
Damit wird Hessen wieder – wie einst für Rot-Grün – zum
politischen Labor. Aus landespolitischer Not heraus, weil nach den
Sondierungen aller mit allen am Ende keine andere Koalition
Tragfähigkeit versprach. Zugleich auf dringliches Raten aus Berlin,
weil sich Angela Merkel eine neue strategische Option eröffnen will.
Nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ reagierte sie auf die nicht
gerade vertrauensbildende Ankündigung ihres Vizekanzlers, sich nach
der nächsten Wahl auch mit den Stimmen der Linken zu ihrem Nachfolger
wählen zu lassen. Klappt es mit den Grünen in Hessen, können Angela
Merkel und die CDU darauf hoffen, der SPD aus deren Dreier-Bündnis in
spe einen entscheidenden Partner herauszubrechen.
Kurios: Die Koalition im Bund beginnt gerade zu arbeiten, da wird
in den Hinterköpfen der Verantwortlichen schon an der Zeit danach
gebastelt. Kann eine solche Koalition in Lauerstellung vier Jahre
halten? Besonders ambitioniert ist das von Merkel, Gabriel und
Seehofer ausgeklügelte Programm ohnehin nicht. Durch den zwangsläufig
nahenden Konkurrenzkampf zwischen Kanzler und Vizekanzler bis hin zu
vorzeitigen Absetzmanövern droht die Zeit des ordentlichen Regierens
auch noch verkürzt zu werden. Spätestens nach zwei Jahren – eine
realistische Befürchtung nach den SPD-Erfahrungen in der letzten
großen Koalition – bestimmt die Parteibrille alles Handeln.
Dem politischen Klima im Lande tut es gut, dass die Schützengräben
verschüttet werden, dass einer neuen Generation Kompromisse wichtiger
sind als abgetragene ideologische Hüte. Verlässliches Regieren
allerdings kann, wenn fast alle mit allen koalieren können und
voreiliges Schielen auf einen neuen Partner Teil der Parteiräson
wird, schnell auf der Strecke bleiben. Mit der Langeweile in der
Politik aber ist es auf jeden Fall vorbei. Das ist uneingeschränkt
positiv.
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