BERLINER MORGENPOST: Jetzt muss erst mal Griechenland liefern – Leitartikel

Wie verzweifelt die Lage in Athen ist, lässt sich
an der Absurdität mancher Lösungsvorschläge ablesen. Der
Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis (FDP) meint, Griechenland solle
künftig überall auf der Welt nur noch Hellas heißen. Ein neuer Name –
und schon ist das alte Schuldenproblem vergessen. So stellt sich das
der Liberale offenbar vor. Dieser Vorschlag weist in etwa das Niveau
einer Idee von EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) auf, der in
Brüssel schon mal die griechische Flagge auf halbmast setzen wollte,
wenn nicht ordentlich gespart werde. Etwas seriöser, aber im Kern
auch nicht wirklich hilfreicher, kommt ein Plan daher, der in Berlin
die Runde machte: Die hiesige Förderpraxis für erneuerbare Energien
soll für griechische Unternehmen geöffnet werden. Die deutschen
Verbraucher sollen also über ihre Stromrechnung die Solaranlagen in
Griechenland unterstützen. Wenn die allerdings trotz aller
Standortvorteile (Sonne) nicht konkurrenzfähig sind, macht das vor
allem eines deutlich: Subventionen werden der griechischen Wirtschaft
nicht zu Wettbewerbsstärke verhelfen. Zum Glück wurde am Wochenende
auch ernsthaft an der Lösung des griechischen Problems gearbeitet.
Das Land muss von der erdrückenden Schuldenlast befreit werden. Dazu
laufen Verhandlungen zwischen privaten Gläubigern und Regierung. Sie
sind offenbar weit gediehen. Eine Hürde gibt es allerdings: Neben den
Banken müssten eigentlich auch die Staaten auf Forderungen
verzichten. Das trifft zwar die Steuerzahler, die werden aber ohnehin
zur Kasse gebeten. So wird es nur früher transparent. Ein Schritt zur
Ehrlichkeit in den europäischen Staaten, die die Rettung finanzieren.
Den braucht es auch in Griechenland: Möchte das Land Teil der
Euro-Zone bleiben, wird das extrem schmerzhaft für die Griechen. Da
sie ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch eine Währungsabwertung
steigern können, müssen andere Hebel genutzt werden. Es bedarf
tiefgreifender Reformen, unter anderem auf dem Arbeitsmarkt. Darüber
verhandeln Europäer und Internationaler Währungsfonds mit der Athener
Regierung. In den vergangenen zwei Jahren hatte man Griechenland vor
allem einem Spardiktat unterworfen – ohne Erfolg. Das Land ist in
einer Abwärtsspirale aus Rezession und Ausgabenkürzungen gefangen. Es
ist deshalb richtig, wenn nun der Fokus von Sparmaßnahmen hin zu
Strukturreformen verschoben wird. Einfacher werden diese Reformen
nicht. Und ihren Erfolg wird man erst in einigen Jahren spüren. Die
entscheidende Frage lautet deshalb: Haben die griechischen Politiker
die Bereitschaft, die Reformen durchzuziehen? Bei allem Unvermögen –
ob überbordende Bürokratie oder fehlende Steuerverwaltung – kann man
ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Fehlender Wille jedoch lässt
sich nicht ersetzen. Momentan hat es nicht den Anschein, dass die
griechischen Politiker – egal welcher Partei – bereit sind, den
Bürgern die bittere Wahrheit zuzumuten. Es herrscht schon wieder
Wahlkampf. Damit stellt sich die Frage der Regierbarkeit des Landes.
Sie muss beantwortet werden, bevor weiteres Geld überwiesen wird.

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