Täuscht der Eindruck, oder haben sie auf die Bremse
getreten? Aus Paris erreichen uns wahrlich präsidiale Bilder:
Christian Wulff schreitet die prächtig behelmte Garde am Pariser
Elysée-Palast ab. So kennt man Bundespräsidenten, so sind sie uns
vertraut. Dieser hier mag jünger sein als gewohnt. Aber die
staatsmännischen Gesten vor laufender Kamera beherrscht auch er.
Angefangen hatte Wulffs erste Woche als Bundespräsident ganz anders –
mit einem Kussfoto. So demonstrativ romantisch hat noch nie ein
deutscher Bundespräsident sein Amt angetreten. Im ersten Glücksmoment
der im dritten Anlauf gewonnenen Wahl umarmt und küsst sich das
Ehepaar Wulff vor den Augen der Fotografen. „Der Präsidenten-Kuss“
titelt „Bild“ am nächsten Tag. Keine Frage, das Paar ist attraktiv.
Dieses Bild lässt Christian Wulffs Umfragewerte sofort in die Höhe
schießen, weit effektiver, als es eine Rede oder ein Interview
vermocht hätten. Es bleibt aber dabei: Privatleben und öffentliche
Rolle, das ist ein schwieriger Balanceakt, schon manchen hat man
abstürzen sehen. Christian Wulff steckt im Dilemma des modernen
Politikers: Was ist die richtige Dosis Privatleben, die ihn uns, dem
Publikum, näher bringt? Genug Glanz seiner attraktiven blonden
Gattin, damit wir ein bisschen ins Träumen geraten. Aber bitte nicht
zu viel. Sonst wird der eher blasse Herr Wulff bald von seiner
Bettina überstrahlt. Wie schnell das gehen kann, zeigte wenige Tage
nach der Wahl ein Münchner Nachrichtenmagazin. „Lady first!“ stand
auf dem Titel zu lesen – und zu sehen war nur die lachende Bettina
Wulff. Ihren Mann, unser Staatsoberhaupt, gab es bloß drinnen, ein
paar Seiten weiter. Die Botschaft: Ihn hat man zum Präsidenten
gewählt, aber sie wollen wir sehen. Und wirklich, die
Interviewanfragen für Bettina Wulff, geborene Körner, reißen nicht
ab. Damit befindet sich Christian Wulff in guter Gesellschaft. Barack
Obama drohte nach seiner Wahl die Schlagzeilenhoheit an die
Abendkleider und die durchtrainierten Oberarme seiner Frau Michelle
zu verlieren. Und der neue britische Premier David Cameron ist sicher
noch nicht jedem vertraut – der gewölbte Bauch seiner schwangeren
Frau Semantha schon. In Frankreich sorgen Interviews von Carla Bruni
regelmäßig dafür, dass Ehemann Nicolas Sarkozy noch kleiner wirkt,
als er eh schon ist. Mon Dieu! Und was heißt das alles? Es heißt: Ist
sie zu stark, bist du zu schwach. Wer als Politiker eine attraktive
Frau hat und sich mit ihr als politisches Powerpaar präsentiert, der
braucht eines dringend: ein starkes eigenes Profil. Eine kreuzbrave
Vereidigungsrede wie die von Christian Wulff – „Die größte Stärke des
Landes sind die Menschen, die hier leben“ – genügt da nicht. Wer mit
seiner tätowierten Ehefrau kokettiert, der muss auch selbst etwas
riskieren. Wir dürfen also gespannt sein, wie es weitergeht im Hause
Bellevue. Nicolas Sarkozy hat beim ersten Zusammentreffen mit Wulff
übrigens gleich klargemacht: Meine Carla freut sich auf ein Treffen
mit deiner Bettina. Und wir, so viel ist sicher, freuen uns auf die
Bilder.
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