BERLINER MORGENPOST: Masterplan für Berlins Radwege / Leitartikel von Hajo Schumacher

Das Fahrrad mag für manche Menschen
Wochenend-Spielzeug sein, für andere Sportgerät und für wieder andere
Waffe im täglichen Überlebenskampf auf der Straße. Aber für die
meisten Berliner ist das Rad ein ausgesprochen praktisches
Verkehrsmittel ohne Parkplatz- und CO2-Problem, billig, schnell und
gesund, sofern nicht ein abbiegender Kraftfahrer mal wieder den
Schulterblick vergisst. Dass nun die Bußgelder für Radfahrer
angehoben werden, ist überhaupt kein Aufreger. Niemand muss Strafe
bezahlen, der sich an die Regeln hält. Das aber tun die wenigsten
Radfahrer. Und die neuen Tarife werden daran wenig ändern. Die
entscheidende Frage lautet: Woher kommt die Django-Mentalität, über
dem Recht zu stehen, die bei Radfahrern offenbar ausgeprägter ist als
bei anderen Verkehrsteilnehmern? Ganz einfach: Der Radfahrer ist in
weiten Teilen dieser Stadt nicht vorgesehen und seine Strecken auch
nicht. Wo parken die Autos? Auf dem Radweg. Was wird nicht vom Schnee
geräumt? Der Radweg. Wohin werden die Silvesterscherben gekehrt? Auf
den Radweg. Was endet abrupt auf der Straße? Richtig. Und wer wird
von Muttis für die City völlig überdimensionierten Zwei-Tonnen-SUV
als Erster umgenagelt? Genau. Der Radfahrer. Man muss kein großer
Psychologe sein, um zu erkennen, was hier schiefläuft: Wenn man eine
Gruppe zwar mit neuen Bußgeldern ausnimmt, ihr auf der anderen Seite
aber nicht die Rechte gibt, die den immer breiteren Autos eingeräumt
werden, dann darf man sich über flegelhaftes Verhalten einiger
Radfahrer nicht wundern. Aber genau hier liegt die Lösung: Radfahrer
halten sich an die Regeln, wenn sie ernst genommen werden. Das
beweisen die Erfahrungen aus den Niederlanden oder aus Kopenhagen.
Dort wurde die landesweit erste Radautobahn gebaut, die eben nicht
zwischen Straße und Parkstreifen und Bushaltestelle und Bürgersteig
verläuft, sondern ihre eigene Trasse hat. Stillgelegte
Schienenstränge eignen sich perfekt. Wegen der guten Erfahrungen
werden in Dänemark 30 neue Bike-Highways gebaut. In Kopenhagen fährt
übrigens ein Drittel der Menschen Rad, in Deutschland sollen es mal
irgendwann 15 Prozent werden. Wer in Kopenhagen auf dem Rad sitzt,
ist vollständig in den Verkehr integriert, mit eigenen Spuren,
eigenen Ampeln und eigenen Strecken, die nicht immer zwangsläufig
entlang der Straßen führen. Das Faszinierende: Dort halten sich alle,
wirklich alle, an die Regeln, viele fahren sogar mit Helm. Der
Berliner staunt. Das ist alles nicht neu. In Großstädten breitet sich
das Zweirad zunehmend aus, ob Vespa oder E-Bike oder eben der
Holländer. Radfahrer sind ja nicht alles Öko-Schlumpfe, sondern
einfach nur vernunftbegabte Menschen, die es für dämlich halten, im
Schritttempo in einer Limousine durch die Stadt zu pesten. Zu einer
fairen Bußgeldreform gehörte übrigens auch, Autofahrer angemessen
bezahlen zu lassen, wenn sie auf Radwegen parken. Dann wäre schnell
das Geld für ein Projekt zusammen, das diese Stadt dringender braucht
als einen Großflughafen – einen Masterplan fürs Rad.

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