Kurzform: Wer genauer hinschaut, sieht, dass Andrea
Nahles seit dem 22. April einiges in der SPD bewegt hat. Mit harter 
Hand räumt sie auf. Wo Vorsitzende wie Gabriel und Gerhard Schröder 
brüllten, versucht die Frau aus der Vulkaneifel, ihr robustes 
Temperament zu zügeln, zuzuhören, alle in Entscheidungen einzubinden.
Ein Riesenproblem hat Nahles nicht in der Hand. Ihr läuft die Zeit 
davon. Gehen die Landtagswahlen im Oktober in Bayern und Hessen 
schlecht aus, wird der Druck wachsen. Der Blick in den Wahlkalender 
des kommenden Jahres macht es nicht besser. Nahles will sich davon 
nicht kirre machen, die SPD in der Mitte halten, um in der 
Nach-Merkel-Ära vielleicht mit Grünen und FDP wieder eine 
Machtperspektive zu bekommen. Eine SPD, die wirklich weiß, was sie 
will, wird in der fragiler gewordenen Demokratie mit aufmuckenden 
Rechten dringender denn je gebraucht.
   Der vollständige Leitartikel: ndrea Nahles hat kürzlich eine Wand 
einreißen lassen. In ihrem Chefbüro in der Parteizentrale, wo sie 
seit 100 Tagen als erste Frau in der SPD-Geschichte sitzt, schauten 
ihre männlichen Vorgänger wie Sigmar Gabriel und Martin Schulz auf 
staubige Bücherregale, die teils mit falschen Buchrücken ausstaffiert
waren. Nahles war das zu muffig. Die Tochter eines Maurers ließ mit 
großer Freude die Handwerker anrücken. Die installierten eine 
Multimediawand, die Nahles für Präsentationen nutzt. Es tut sich also
doch was in der SPD. In den Umfragen aber ist es – anders als von 
Nahles erhofft – noch nicht nach oben gegangen. Das frustriert viele 
Parteimitglieder. Unter 20 Prozent fällt es der neuen Chefin schwer, 
ihre Botschaft von Erneuerung auf der Regierungsbank an die Genossen 
zu bringen. Nahles braucht noch etwas Zeit. Das gute Drittel jener 
GroKo-Hasser, die Nahles ihre Vorsitzenden-Kür mit nur 66 Prozent 
vermiesten, fühlen sich von der bisherigen Performance bestätigt. Zu 
wenig Profil, keine zündenden Ideen, keine echte Klärung der Position
in der Flüchtlingsfrage (was AfD und Grünen in die Hände spielt), ein
müdes Weiter-so zum puren Machterhalt, lautet die Kritik. Wer genauer
hinschaut, sieht, dass Nahles seit dem 22. April einiges in der 
Partei bewegt hat. Mit harter Hand räumt sie auf. Wo Vorsitzende wie 
Gabriel und Gerhard Schröder brüllten, versucht die Frau aus der 
Vulkaneifel, ihr robustes Temperament zu zügeln, zuzuhören, alle in 
Entscheidungen einzubinden. Im Gegenzug hält der geschwätzige Laden 
dicht. So konnte Nahles mit Vizekanzler Olaf Scholz den 
Fünf-Punkte-Plan, den sie vor dem Finale der Asylkrise in der Union 
ausheckte und in weiten Teilen auch durchsetzte, vertraulich 
diskutieren – ohne Indiskretionen. Träge Abgeordnete zwingt sie mit 
Schichtdiensten zu höherer Bundestagspräsenz. Die 
Historikerkommission in der SPD-Zentrale, die seit Jahren nichts mehr
publizierte? Aufgelöst. Von sage und schreibe 54 Kommissionen, 
Arbeits- und Gesprächskreisen hat Nahles ein Dutzend dichtgemacht. 
Gastbeiträge von Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, den sie aufs 
Altenteil schob, landen bei ihr genauso in der Ablage wie der Rat von
Soziologen, die SPD solle ihren Volkspartei-Anspruch aufgeben, um mit
harten, linken Positionen ihr Profil zu schärfen. Ein Riesenproblem 
hat Nahles nicht in der Hand. Ihr läuft die Zeit davon. Gehen die 
Landtagswahlen im Oktober in Bayern und Hessen schlecht aus, wird der
Druck wachsen. Der Blick in den Wahlkalender des kommenden Jahres 
macht es nicht besser. Im Herbst 2019 kämpft die SPD bei den 
Ostwahlen in Sachsen und Thüringen ums nackte Überleben, in 
Brandenburg ist der Ministerpräsidentenstuhl in Gefahr. Bereits am 
26. Mai bei der Europawahl und der zeitgleichen Abstimmung in Bremen 
drohen empfindliche Rückschläge. Nach der Sommerpause will die 
Vorsitzende entscheiden, welche Leute die SPD für Europa ins Rennen 
schickt. Der populäre Juso-Chef Kevin Kühnert – was ein echter Coup 
wäre – soll bereits abgewinkt haben. Ende 2019 muss Nahles auf einem 
Parteitag einen möglichen GroKo-Exit der SPD abwenden, der als 
Revisionsklausel im Koalitionsvertrag verankert ist. Nahles will sich
davon nicht kirre machen, die SPD in der Mitte halten, um in der 
Nach-Merkel-Ära vielleicht mit Grünen und FDP wieder eine 
Machtperspektive zu bekommen. Eine SPD, die wirklich weiß, was sie 
will, wird in der fragiler gewordenen Demokratie mit aufmuckenden 
Rechten dringender denn je gebraucht.
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