BERLINER MORGENPOST: Noch nicht der große Wurf / Leitartikel von Andreas Abel zu Sondierungsergebnissen

Kurzfassung: Die GroKo, sollte sie kommen, muss
sich aber auch auf eine sozialverträgliche Mietenpolitik für den
Wohnungsbestand einigen. Die Union ist politisch stark im ländlichen
Raum verortet. Doch immer mehr Menschen ziehen in die Ballungsräume
wie Berlin. Darauf muss die Partei politisch reagieren. Sie sollte
eine wirksame Mietpreisbremse nicht länger ausbremsen. Die
Mietenregulierung ist insbesondere in Großstädten unerlässlich. Jede
Volkspartei, die das verkennt, muss sich irgendwann vor ihren Wählern
rechtfertigen.

Der vollständige Kommentar: 28 DIN-A4-Seiten umfasst das Papier,
in dem Union und SPD die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche
festgehalten haben. Exakt eine Seite benötigten sie, um ihre
Überlegungen zu Wohnungsbau und Mieten zu formulieren. Wenig
verwunderlich, dass nun allenthalben Kritik laut wird. Auf diesem
Themenfeld ist in den Koalitionsverhandlungen, so es sie denn geben
sollte, noch viel Luft nach oben. Vor wenigen Tagen stellte der
Caritasverband eine repräsentative Deutschlandstudie mit dem Titel
„Menschenrecht auf Wohnen“ vor. Demnach sehen drei Viertel der
Befragten bezahlbares Wohnen neben Pflege, Alterssicherung und
Kinderarmut als eines der zentralen Themen an, mit denen sich die
Politik beschäftigen sollte. 88 Prozent verbinden mit dem Begriff
„Zuhause“ zu allererst eine bezahlbare Wohnung. Und für vier von fünf
Befragten stellen hohe Wohnkosten ein erhebliches Armutsrisiko dar.
Das untermauert, was vielen Menschen ohnehin klar ist und den
Politikern klar sein sollte. Die Frage, wie die Mieten günstig
bleiben und wie wir zu mehr neuen, vor allem preiswerten, Wohnungen
kommen, ist das wichtigste soziale Thema in Deutschland. Das gilt
insbesondere in Berlin, das betrifft aber inzwischen alle
Ballungsräume und auch etliche mittelgroße Städte. Und die Angst,
sich das Zuhause nicht mehr leisten zu können, hat längst eine breite
Mittelschicht erreicht. Was ist also zu tun? Es ist gut, dass der
Bund nach Ansicht der Sondierer den sozialen Wohnungsbau auch für die
Jahre 2020 und 2021 fördern soll. Fragwürdig ist, dass die
Beschränkung auf diese beiden Jahre formuliert wurde. Unklar bleibt
auch die Höhe der finanziellen Unterstützung. Das verschafft
Investoren keine Sicherheit und löst auch kein Vertrauen aus. Es ist
gut, dass den Gemeinden bundeseigene Grundstücke zu vergünstigten
Konditionen zur Verfügung gestellt werden sollen. Aber was heißt das
konkret? Gerade in Berlin ließ sich in den vergangenen Jahren
beobachten, dass sich die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und
die Kommune nicht über Preise einigen konnten. Doch die Großstädte
sind auf die Liegenschaften des Bundes angewiesen, der verknappte
Markt lässt die Baulandpreise explodieren. Es ist gut, dass
steuerliche Anreize für den privaten Wohnungsbau und für die Bildung
von Wohneigentum gesetzt werden sollen. Es müssen alle Wege genutzt
werden, den Wohnungsbau anzukurbeln und Menschen, die das wollen, zu
krisenfesten vier Wänden zu verhelfen – insbesondere Familien. Dazu
gehört auch, den Dachgeschossausbau zu erleichtern. Der Schwerpunkt
muss jedoch auf preisgünstige Wohnungen gelegt werden. Wenn auch
private Investoren dazu angehalten werden sollen, preiswerte
Immobilien für breite Bevölkerungsschichten zu errichten und ihnen
dabei eine angemessene Rendite ermöglicht werden soll, ist
insbesondere der Bund gefordert. Er muss entschieden mehr leisten als
in der vergangenen Legislaturperiode, er muss tiefer in die Tasche
greifen und er muss sich auch mit der Förderung eines gemeinnützigen
Wohnungsbaus auseinandersetzen. Soll niemand sagen, dafür hätten wir
kein Geld. Die GroKo, sollte sie kommen, muss sich aber auch auf eine
sozialverträgliche Mietenpolitik für den Wohnungsbestand einigen. Die
Union ist politisch stark im ländlichen Raum verortet. Doch immer
mehr Menschen ziehen in die Ballungsräume wie Berlin. Darauf muss die
Partei politisch reagieren. Sie sollte eine wirksame Mietpreisbremse
nicht länger ausbremsen. Die Mietenregulierung ist insbesondere in
Großstädten unerlässlich. Jede Volkspartei, die das verkennt, muss
sich irgendwann vor ihren Wählern rechtfertigen.

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