BERLINER MORGENPOST: Schockwellen aus Bayern / Leitartikel von Jörg Quoos zur Wahl in Bayern

Kurzform: Für die große Koalition, die schon
schlecht gestartet ist, wird es jetzt mit einer gerupften CSU und
gedemütigten Sozialdemokraten noch schwerer. Große Teile der
Sozialdemokraten sind mit der Faust in der Tasche in die Regierung
eingezogen. Jetzt wird die Faust wohl rausgeholt. Die
SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles kann sich auf unruhige Wochen
einstellen. Der Druck wird riesig, möglichst schnell den Ausstieg aus
dem verhängnisvollen Bündnis zu suchen. Und dann ist da noch die
Bundeskanzlerin, die schon wieder eine schlechte Nachricht verkraften
muss. Das Beben in Bayern sendet Schockwellen in ihre Partei. Mit dem
schlechten Abschneiden der Schwesterpartei ist auch das politische
Ende von Angela Merkel ein Stück näher gerückt.

Der vollständige Leitartikel: Die Bayern haben gewählt und der
etablierten Politik einen ordentlichen Denkzettel verpasst. Mit dem
Ergebnis aus München erleben wir einmal mehr einen Abschied von alten
Gewissheiten, bei dem die großen Volksparteien auf der Strecke
bleiben. Die Sozialdemokraten, die noch mit Gerhard Schröder über 40
Prozent holten? Sind heute ein Schatten ihrer selbst und dümpeln
hinter Grünen und AfD am Rande der Bedeutungslosigkeit. Und die
Union, die mit Angela Merkel vor fünf Jahren noch über 41 Prozent
schaffte? Hat Stand heute fast ein Drittel ihrer Wähler verloren. Und
jetzt sogar die CSU. Die Partei, für die Niederlagen bislang so
wahrscheinlich waren wie ein Alkoholverbot im Hofbräuhaus, erlebt für
ihre Maßstäbe ein echtes Desaster. Es war ein Absturz mit Ansage. Und
alle Beteiligten tragen Schuld daran. Vor Ort natürlich
Ministerpräsident Söder, der viel zu spät erkannt hat, dass von
übertriebener Scharfmacherei in der Flüchtlingspolitik besonders die
Grünen und die Rechten profitieren. Dann ganz besonders Parteichef
Horst Seehofer, der mit seinem erzwungenen Hauptstadt-Exil immer noch
fremdelt und, statt mit eindrucksvollen Erfolgen zu glänzen, Angela
Merkels große Koalition von einem Krisentreffen ins nächste treibt.
Er hat die Politikverdrossenheit auch bei den CSU-Wählern erhöht, da
lag Markus Söder mit seinen Schuldzuweisungen Richtung Berlin sicher
richtig. Und auch die machthungrige zweite Reihe der CSU hat das
Debakel mitverbockt. Selbst der schlichteste Wähler durchschaut eben
Symbolpolitik und weiß, dass es viel leichter ist, Kruzifixe in
Amtsstuben zu nageln, als bezahlbaren Wohnraum für junge Familien und
Normalverdiener zu schaffen. Und dass die Partei mehr Leidenschaft in
eine überflüssige Autobahnmaut steckte als in die Bekämpfung des
millionenfachen Diesel-Betrugs, wird ihr bei den Autofahrern auch
nicht geholfen haben. Die CSU, die das Land über Jahrzehnte quasi im
Alleingang regierte und dabei unbestritten sehr erfolgreich war, hat
offenbar das Gespür für die wahren Bedürfnisse ihrer Wähler verloren
und ist endgültig in der harten Realität angekommen. Dabei ist offen,
ob die alte Größe je wieder erreicht werden kann. Denn der Wähler
erstarrt nicht mehr in Ehrfurcht und Dankbarkeit für
Regierungshandeln, sondern genießt seine neue Rolle als wählerischer
Kunde, der heute hier und morgen dort mit dem Stimmzettel der Politik
Beine macht. Für die große Koalition, die schon schlecht gestartet
ist, wird es jetzt mit einer gerupften CSU und gedemütigten
Sozialdemokraten noch schwerer. Große Teile der Sozialdemokraten sind
mit der Faust in der Tasche in die Regierung eingezogen. Jetzt wird
die Faust wohl rausgeholt. Die SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles
kann sich auf unruhige Wochen einstellen. Der Druck wird riesig,
möglichst schnell den Ausstieg aus dem verhängnisvollen Bündnis zu
suchen. Und dann ist da noch die Bundeskanzlerin, die schon wieder
eine schlechte Nachricht verkraften muss. Ja, es wäre menschlich,
wenn sie beim Anblick der langen CSU-Gesichter einen kurzen Moment
der Schadenfreude verspürt hätte. Aber er wird nicht von Dauer
gewesen sein. Angela Merkel weiß zu gut, dass eine starke Union immer
auch eine starke CSU braucht. Ganz egal, wie anstrengend ihr
Spitzenpersonal für die CDU-Führung auch sein mag. Das Beben in
Bayern sendet Schockwellen in ihre Partei. Mit dem schlechten
Abschneiden der Schwesterpartei ist auch das politische Ende von
Angela Merkel ein Stück näher gerückt.

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