BERLINER MORGENPOST: Schweigen löst keine Probleme – Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Er konnte schwerlich nicht anders. Zu groß die
Demütigung für den Präsidenten persönlich und die Supermacht Amerika
generell, indem Russland dem übergelaufenen Geheimdienstler Edward
Snowden politisches Asyl gewährt. Zu groß auch der innenpolitische
Druck seitens der Opposition und vieler Abgeordneter der Demokraten.
Doch wirklich helfen über den Tag hinaus wird Barack Obama die Absage
seiner Vier-Augen-Begegnung mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin
nicht. Denn Obama bleibt auf den machohaften einstigen Dresdner
KGB-Agenten angewiesen, will er außenpolitisch nicht schon jetzt,
kaum wiedergewählt, als „lame duck“, als „lahme Ente“ auf der
internationalen Bühne watscheln.

Will er die bösesten Krisen der Welt vom Morden in Syrien über die
atomare Bedrohung durch Irans Mullah-System bis zum internationalen
Terrorismus einer Lösung auch nur näherbringen, bleibt der so früh
zum Friedensnobelpreisträger gekürte Obama auf die Mithilfe Putins
angewiesen. Die verweigert der einzig starke Mann im wiedererstarkten
Russland auch deshalb, weil er sich seinerseits durch die USA
gedemütigt fühlt. Mit dem Ende des Kalten Krieges, zu dem das
bankrotte sowjetische System entscheidende Beiträge geliefert hat,
erwartete Russland, dass dem Land gleichberechtigt die Türen gen
Westen geöffnet werden. Nicht ganz grundlos verbreitete sich in
Moskau dagegen der Eindruck, insbesondere von Washington am Ende der
Ost-West-Konfrontation als Verlierer behandelt und nicht mehr ganz
ernst genommen zu werden. Erst die Ausdehnung der Nato gen Osten,
dann der Aufbau eines globalen US-Raketenschilds haben dieses Gefühl
bestärkt. Auch darauf reagiert und dafür rächt sich Putin jetzt, da
Obama dessen Kooperationswillen braucht.

Das alles ist vom Beginn eines neuen Kalten Krieges gottlob weit
entfernt. Kalter Krieg – das war die gegenseitige militärische
Abschreckung zur Vermeidung eines heißen Kriegs. Wohl hat Obama die
Temperatur in den abgekühlten amerikanisch-russischen Beziehungen
weiter heruntergedreht. Aber nur ein bisschen. Gradmesser dafür sind
die gestrigen Gespräche der Außen- und Verteidigungsminister beider
Länder in Washington und Obamas bekräftigte Zusage, nach der Absage
des persönlichen Treffens mit Putin dessen Einladung zum G-20-Treffen
Anfang September in St. Petersburg zu folgen. Dort geht es vor allem
um Wirtschaft. Und da ist Russland wiederum dringend auf westliche
Hilfe angewiesen, um die weitgehend veralteten russischen Betriebe zu
modernisieren.

Obama und Putin werden keine Freunde mehr. Zu unterschiedlich sind
beider Charaktere. Zu unterschiedlich derzeit auch ihre Interessen.
Aber Überheblichkeit und Rache sind auch in der Politik keine
probaten Attitüden. Der Fall Snowden – hätte Washington einen
russischen Überläufer ausgeliefert? – wird sich so oder so nach einer
Schamfrist erledigen. Dann werden Putin und Obama wieder miteinander
reden. Weil sie die globalen Herausforderungen, die auch Russland wie
Amerika bedrohen, nur vereint bestehen können.

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