Kurzform:Im Rückspiegel der GroKo-Turbulenzen wirkt
die Jamaika-Perspektive wie eine Verheißung. Ein Bündnis, das der
Sehnsucht folgt nach einer Politik, die den Erfordernissen kommender
und nicht vergangener Jahrzehnte gerecht wird. Die mühsamen
Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen verdienen keine
Verklärung. Christian Lindner wird wissen, wie wenig seine Behauptung
überzeugt, ein schwarz-gelb-grünes Bündnis wäre in Teilen schlechter
gewesen als die dritte große Koalition in vier Wahlperioden. Jamaika
hätte gestanden für mehr Klimaschutz, eine Entlastung der Bürger und
eine konsequente Zuwanderungspolitik. Die Verantwortung des
FDP-Vorsitzenden für das Scheitern der Sondierungen wiegt schwerer
denn je.
Der vollständige Leitartikel: Die Aufführung, die gerade die SPD
aber auch die Union in den vergangenen Wochen geboten haben, lässt
viele Bürger ratlos zurück. Mit einem Gefühl der Betäubung. Hat sich
das wirklich so zugetragen? Der allgemeine Vorwurf, den
GroKo-Verhandlern sei es mehr um Posten als um Inhalte gegangen,
greift zu kurz. Einflussreiche Posten sind die Grundlage dafür,
Inhalte durchzusetzen. Das Bild, das die nominellen
Verhandlungsführer Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer
abgegeben haben, ist deswegen so verheerend, weil sie allzu
offenkundig von persönlichem Machterhalt geleitet waren. Bei Angela
Merkel hat das Methode. Je schlechter es einem möglichen
Regierungspartner geht, desto mehr gibt sie ihm, um selbst im Amt zu
bleiben. 2013 bekam die SPD einen weithin sozialdemokratischen
Koalitionsvertrag. Jetzt, nach dem Absturz der SPD auf ein
historisches Tief, verschenkt Merkel das Finanzministerium, in dem
Wolfgang Schäuble über Jahre deutsche Politik nach den Grundsätzen
der CDU geprägt hat. Und die CSU, die es vor der Bayern-Wahl auch
nicht leicht hat, wird von der CDU-Vorsitzenden nach dem gleichen
Prinzip bedacht. Der zum Versorgungsfall gewordene CSU-Chef Seehofer
darf Superminister für Inneres und Heimat werden. Möglicherweise hat
Merkel damit den Bogen überspannt. Ihr Versuch, die aufgebrachte CDU
per Fernsehinterview zu beschwichtigen, dürfte nicht alle überzeugt
haben. Die SPD hat sich lächerlich gemacht; und viel Schlimmeres kann
eine Volkspartei der Demokratie nicht antun. Die Sozialdemokraten
stünden nicht einmal mehr zu ihrem Wortbruch – dieser sarkastische
Kommentar, der in den sozialen Netzwerken viel Anklang findet, bringt
es auf den Punkt. Warum hat Sigmar Gabriel, als ihn seine Partei als
Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten nicht mehr trug, ausgerechnet
Martin Schulz auf den Schild gehoben? Gabriel kennt Schulz besonders
gut und muss gewusst haben, dass er über begrenzte
Führungsfähigkeiten und schon gar nicht über Kanzlerformat verfügt.
War es ein letzter Versuch, den weiteren Aufstieg seiner Widersacher
Andrea Nahles und Olaf Scholz zu verhindern? Oder gab es zumindest
diesen Hintergedanken, der SPD zu demonstrieren, dass es mit ihm,
Gabriel, besser gekommen wäre? Ob der Verzicht von Schulz die
Erfolgsaussichten des Mitgliederentscheids erhöht, ist ungewiss. Denn
die Art des Abgangs hallt nach: Der Versuch, den SPD-Vorsitz gegen
das Außenamt einzutauschen – gegen das eigene Wort, um selbst im
Spiel zu bleiben. Dann Sigmar Gabriels beispielloser Angriff auf den
„Mann mit den Haaren im Gesicht“. Die Suche nach einem Außenminister
wird das Personalkarussell in der SPD noch einmal in Gang setzen. Die
eigentliche Frage, ob der Koalitionsvertrag gut genug ist für die
Herausforderungen unserer Zeit, rückt weiter in den Hintergrund. Im
Rückspiegel der GroKo-Turbulenzen wirkt die Jamaika-Perspektive wie
eine Verheißung. Ein Bündnis, das der Sehnsucht folgt nach einer
Politik, die den Erfordernissen kommender und nicht vergangener
Jahrzehnte gerecht wird. Die mühsamen Sondierungen zwischen Union,
FDP und Grünen verdienen keine Verklärung. Christian Lindner wird
wissen, wie wenig seine Behauptung überzeugt, ein schwarz-gelb-grünes
Bündnis wäre in Teilen schlechter gewesen als die dritte große
Koalition in vier Wahlperioden. Jamaika hätte gestanden für mehr
Klimaschutz, eine Entlastung der Bürger und eine konsequente
Zuwanderungspolitik. Die Verantwortung des FDP-Vorsitzenden für das
Scheitern der
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