BERLINER MORGENPOST: Trump am Abgrund – Leitartikel von Dirk Hautkappüber den Zustand der US-Demokratie

In einer gesunden Demokratie hätte eine Delegation
führender Vertreter der Mehrheitspartei im US-Parlament gestern um
eine Dringlichkeitssitzung im Weißen Haus gebeten. Um den Amtsinhaber
zum Schutz der Nation zum Rücktritt aufzufordern und im Falle der
Verweigerung die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens
anzukündigen. So und nicht anders hätten die Republikaner gehandelt,
wären all die Tabubrüche, die Donald Trump zur Last gelegt werden,
einst dessen demokratischem Vorgänger Barack Obama vorgeworfen
worden.

Aber Amerikas Demokratie ist nicht wirklich gesund. Sie kränkelt
an vielen Stellen. Ein Indiz: Die Partei, die einst den Demokraten
Bill Clinton aus dem Amt drangsalieren wollte, weil er Sex mit einer
Praktikantin geleugnet hatte, drückt bei Trump trotz erdrückender
Fakten bisher beide Augen zu.

Michael Cohen, sein eigener Anwalt und „Ausputzer“, hat den
Präsidenten unter Eid als Auftraggeber in einem verschwörerischen Akt
identifiziert, der die Wahl von 2016 beeinflussen sollte. Um Wähler
nicht zu vergrätzen, wurde zwei Frauen, mit denen Trump außereheliche
Affären gehabt haben soll, aus der Wahlkampfkasse rechtzeitig
Schweigegeld in Höhe von insgesamt rund 300.000 Dollar gezahlt. Von
Cohen, der dafür ins Gefängnis zu gehen bereit ist. Und auf Anweisung
Trumps, der sich zeitlebens aus Problemen herausgekauft hat, bis
heute alles abstreitet und die Nation zum Narren hält.

Je lauter die wandelnden Zeitbomben Cohen, Manafort ticken (und
die anderen, die wie Trumps Sohn Donald Jr. oder der
Ex-Sicherheitsberater Michael Flynn noch kommen), desto näher rückt
Trump an den Abgrund, der ihn wie weiland Richard Nixon in der
Watergate-Krise zum Abdanken zwingen könnte. Dann, wenn der unter
Druck zu selbstzerstörerischen Handlungen neigende Geschäftsmann sich
so tief in Lügen und Widersprüche verstrickt, dass es auch ohne
Anklage oder Amtsenthebungsverfahren kein Weiter-so geben kann. Ob es
so kommt – abwarten. Auch ein Befreiungsakt, bei dem die Republikaner
Trump die Stange halten, ist nicht völlig ausgeschlossen. Für die
Welt insgesamt, der Trump von Iran über Nordkorea bis hin zur
Handelspolitik fahrlässig Dutzende neue Konflikte beschert hat, heißt
das nichts Gutes.

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