BERLINER MORGENPOST: Von Macht und Medien / Leitartikel von Jörg Quoos zur Pressefreiheit

Kurzfassung: Um Lügen, „Fake News“ und
Diffamierungen über die „Lügenpresse“ zu entlarven, braucht es eine
kritische Öffentlichkeit, der nicht egal ist, woher ihre
Informationen kommen. Nie war ein mündiger, selbstbewusster Leser
wichtiger als in einer Zeit, in der die Staatslüge salonfähig wird.
Mündig heißt dabei: kritisch, verantwortungsbewusst und realistisch.
Wem saubere, gut recherchierte Information keinen Cent mehr wert ist,
der darf sich nicht wundern, wenn er instrumentalisiert statt
informiert wird. Ja, öffentlicher Rundfunk, Qualitätsmedien –
gedruckt wie online – kosten Geld. Aber nur mit Erlösen ist
unabhängiger Journalismus auf Dauer zu finanzieren. Und wir
Journalisten dürfen uns nicht wundern, wenn der Leser den Medien
zunehmend misstraut, die ihn bevormunden oder ideologisch
beeinflussen wollen.

Der vollständige Leitartikel: Wenn amerikanische Leser heute ihre
Zeitung aufschlagen oder auf deren Webseiten gehen, werden sie alle
auf ein Thema stoßen. Sie werden einen Hilferuf der Chefredakteure
lesen gegen Medienhetze und „Fake News“ und gleichzeitig ein
leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit der Presse. Für einen
Tag gilt nicht die Journalistenregel „zehn Chefredakteure, zehn
Meinungen“, sondern es herrscht seltene Einigkeit: „Der schmutzige
Krieg gegen die freie Presse muss ein Ende haben.“ So sieht man es in
der Redaktion des renommierten „Boston Globe“, der die Aktion
gestartet hat – und 100 Zeitungen wollen folgen. Die historisch
einmalige Kampagne zeigt, wie verzweifelt die US-Presse mittlerweile
gegen eine Administration kämpft, die alle Spielregeln für den Umgang
von Macht und Medien außer Kraft gesetzt hat. Eine knappe Mehrheit
der republikanisch gesinnten Amerikaner glaubt laut einer jüngsten
Studie offenbar, dass „Medien die Feinde des Volkes sind“. Das ist
eine hässliche Nachricht für eine Nation, deren Söhne und Töchter
auch für die Meinungsfreiheit auf Schlachtfeldern in der ganzen Welt
gestorben sind. Das kontinuierliche Diffamieren und Hetzen gegen
kritische Medien hat Früchte getragen. Dabei macht man es sich zu
einfach, wenn man Donald Trump alleine dafür verantwortlich macht.
Ja, der US-Präsident hat nach Zählung der renommierten „Washington
Post“ seit Amtsantritt 4500 Unwahrheiten oder Tatsachenverdrehungen
in die Welt gesetzt. Das ist ungeheuerlich, aber es gehören immer
zwei dazu, um Lügen erfolgreich in die Welt zu setzen: der Lügner und
derjenige, der die Lüge glaubt oder keinen Anstoß an ihr nimmt. Um
Lügen, „Fake News“ und Diffamierungen über die „Lügenpresse“ zu
entlarven, braucht es eine kritische Öffentlichkeit, der nicht egal
ist, woher ihre Informationen kommen. Nie war ein mündiger,
selbstbewusster Leser wichtiger als in einer Zeit, in der die
Staatslüge salonfähig wird. Mündig heißt dabei: kritisch,
verantwortungsbewusst und realistisch. Wem saubere, gut recherchierte
Information keinen Cent mehr wert ist, der darf sich nicht wundern,
wenn er instrumentalisiert statt informiert wird. Ja, öffentlicher
Rundfunk, Qualitätsmedien – gedruckt wie online – kosten Geld. Aber
nur mit Erlösen ist unabhängiger Journalismus auf Dauer zu
finanzieren. Und wir Journalisten dürfen uns nicht wundern, wenn der
Leser den Medien zunehmend misstraut, die ihn bevormunden oder
ideologisch beeinflussen wollen. Die Aktion der amerikanischen
Zeitungen darf man in ihrer Wirkung sicher nicht überschätzen. Aber
sie stößt eine wichtige Debatte an, die nicht nur die Amerikaner
betrifft. Nach jahrzehntelangem Siegeszug stagniert die Demokratie,
und die Pressefreiheit ist erkennbar im Abschwung. Die Organisation
Reporter ohne Grenzen dokumentiert dies eindrucksvoll Jahr für Jahr.
In Russland ist die Pressefreiheit schon lange unter Druck, zunehmend
aber auch in europäischen Ländern wie Polen, Ungarn und Tschechien.
Besonders drastisch ist der Verfall der Pressefreiheit in der Türkei.
Dabei muss man nicht – wie in der Türkei – Journalisten einsperren,
um die Freiheit der Presse zu erodieren. Es genügt, ihre Integrität
zu zerstören. Es ist erschreckend, wie leichtfertig mitunter der
Begriff „Lügenpresse“ in der Debatte um die Qualität der Medien
verwendet wird, wie offen Journalisten mittlerweile angefeindet oder
bedroht werden. Daher ist es richtig, sich – wie nun in den USA – zu
wehren. Das sind Medien den Lesern und Zuschauern, die ihnen
vertrauen, schuldig.

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