Geschickt formuliert: „Falls es die Tradition
der Bundesbank ist, Preisstabilität sicherzustellen, dann steht die
EZB voll in Einklang mit der Tradition“, erklärte Mario Draghi,
Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), am Donnerstag in
Ljubljana. Doch der einschränkende Nebensatz spricht Bände: Wenn es
nämlich um das Verbot monetärer Staatsfinanzierung, die Trennung von
Geld- und Fiskalpolitik, die Wahrung des parlamentarischen
Haushaltsrechtes oder die jenseits der Geldpolitik liegende
Subventionierung von Pleitebanken geht, ist von der Tradition der
Bundesbank in der EZB-Politik nicht mehr viel übrig.
Die Politik, Staatsanleihen von Euro-Krisenländern zu kaufen und
die Banken dieser Länder unabhängig von ihrer Bonität und ihren
verfügbaren Sicherheiten zu finanzieren, verstößt gegen all diese
Prinzipien. Das gesteht nun selbst der EZB-Präsident zu, wenn auch
verklausuliert und auf Raten. Draghis Äußerungen machen klar: Die EZB
hat sich von der Bundesbanktradition verabschiedet.
Das gilt im Grunde sogar für die Preisstabilität. Auch dieses
Bekenntnis wirkt nicht mehr sehr glaubhaft. Seit 22 Monaten verharrt
die Inflationsrate teils deutlich über der EZB-Zielmarke von knapp
2%, im September betrug sie 2,7%. Das mag auf den ersten Blick nicht
viel wirken. Doch wer heute für seine Altersvorsorge spart, wird den
Unterschied spüren: Bei einer jährlichen Inflation von 2% halbiert
sich der Geldwert nach 35 Jahren, bei 3% bereits nach 23 Jahren.
Angesichts der real größtenteils negativen Zinsen verstärkt die
EZB-Politik das Problem der aufkommenden Altersarmut. Die
Zinssenkungen der EZB – auch unter Draghis Führung – haben ihren
Preis.
Als Draghi vor knapp einem Jahr EZB-Präsident wurde und die Frage
gestellt bekam, ob er die in der Euro-Notenbank verhaftete Tradition
der Bundesbank fortführen würde, antwortete er, das werde die Zeit
zeigen. Heute lässt sich feststellen: Mit einer umfassenden
Stabilitätskultur und der Wahrung ordnungspolitischer Prinzipien hat
die gegenwärtige Geldpolitik im Euroraum nicht mehr viel zu tun.
Draghi und 20 seiner 21 Kollegen im Notenbankrat haben sich längst
dazu entschieden, im Notfall die Rolle einer Regierung im
führungslosen Euroland zu übernehmen. Sie wollen nicht nur
Geldpolitik betreiben, sondern auch die Frage der Geldordnung
entscheiden. Das kulminiert in Draghis Satz: „Der Euro ist
unumkehrbar!“ Die Erklärung, wie dieser Satz durch das Mandat der EZB
in den EU-Verträgen gedeckt ist, bleibt Draghi schuldig.
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