Das neue Börsenjahr hat mit einer Überraschung
begonnen. Allen Belastungsfaktoren zum Trotz verbuchten die meisten
europäischen Aktienmärkte, allen voran der deutsche, in der ersten
Handelswoche nennenswerte Gewinne, sodass sich jetzt so mancher
fragt, ob das ein richtungsweisendes Signal für das Gesamtjahr ist.
Durchaus möglich, lautet darauf eine passende Antwort. Vielleicht
aber auch nicht.
Allein aus der Historie abzuleiten, dass 2012 ein gutes Jahr für
Aktieninvestoren wird, ist jedenfalls zu riskant. In der
Vergangenheit traf es zwar sehr häufig zu, dass auf eine starke erste
Handelswoche ein ebenfalls starkes Gesamtjahr folgte. Allerdings gab
es in den zurückliegenden Jahrzehnten auch keine systemgefährdende
Schuldenkrise. Hinzu kommt, dass seit der Jahrtausendwende zwar in
acht Jahren die Tendenz der ersten Handelwoche mit der Tendenz des
gesamten Börsenjahres übereinstimmt. In den übrigen Jahren aber
nicht. Für Anleger sollte es also vorrangig bleiben, die
Fundamentalfaktoren zu analysieren, um sich ein Bild über die
Perspektiven für die Aktienmärkte zu machen. Und dieses Bild sieht
insbesondere in der Peripherie der Eurozone immer noch recht düster
aus.
Dies liegt natürlich in erster Linie an der Staatsschuldenkrise in
der Eurozone, deren Lösung weiterhin in der Schwebe ist. Nach dem
zurückliegenden Gipfel wähnen viele Beobachter Europas Politik auf
dem rechten Pfad, obwohl die Briten sich für einen anderen Weg
entschieden. Spätestens die Warnung des griechischen
Ministerpräsidenten Lucas Papademos vor einer unkontrollierbaren
Staatspleite vom Donnerstag erinnerte jedoch sehr eindringlich daran,
wie ernst die Situation weiterhin ist. Der Austritt Griechenlands aus
der Währungsunion zählt deshalb immer noch zu den möglichen
Szenarien, die eine Fortentwicklung der Krise beschreiben.
Verlorenes Vertrauen
Das Thema wird die Märkte auch deshalb noch langfristig
beschäftigen, weil die beiden hoch verschuldeten Länder Italien und
Spanien 2012 einen Refinanzierungsbedarf von zusammen mehr als 500
Mrd. Euro haben. Der begonnene Reformkurs in beiden Staaten führte
zwar dazu, dass die Bedingungen an den Anleihemärkten zuletzt
günstiger geworden sind. Dies ist allerdings keineswegs als Garantie
dafür zu verstehen, dass dies auch in den nächsten Monaten so sein
wird. Damit sich die Lage weiter entspannt, müssen die Regierungen
vielmehr fortlaufend an notwendigen Strukturreformen arbeiten, damit
sie das Vertrauen der Investoren Stück für Stück zurückgewinnen.
Selbst wenn dies gelingt, sehen die konjunkturellen Perspektiven für
die Eurozone aber sehr trübe aus: Sie steht am Rande einer Rezession.
Alles andere als ermutigend wirkt es dann, dass Italiens größte Bank
bei einer Kapitalerhöhung neue Aktien mit einem Abschlag von 43%
anbieten muss, um neue Mittel bei den Anteilseignern lockerzumachen.
Dies wirft zusätzlich einen Schatten auf den Sektor, der ohnehin so
sehr unter Druck steht, dass die Kreditvergabe nun deutlich
restriktiver gehandhabt werden wird – mit entsprechend negativen
Effekten für das konjunkturelle Wachstum. Und dies betrifft dann auch
die stärkeren Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone, also auch die
deutsche.
Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass sich im Laufe des
Börsenjahres die Perspektiven erheblich aufhellen. Unerwartet
positive Konjunkturdaten aus den Vereinigten Staaten und China lassen
darauf hoffen, dass exportstarke Unternehmen weiterhin auf
ausreichende Nachfrage stoßen werden. Hinzu kommt hierzulande der
sehr stabile inländische Konsum, der von der positiven Entwicklung am
Arbeitsmarkt und der Erwartung steigender Löhne zusätzlich stimuliert
werden dürfte.
Hoffnungen ruhen zudem auf einer weiterhin expansiven Geldpolitik
der Notenbanken, die jüngst u.a. mit ihrer konzertierten Aktion zur
Versorgung der Banken mit Dollar zur Entspannung der Schuldenkrise
beigetragen hatten. Inzwischen wollen Analysten selbst quantitative
Maßnahmen der Europäischen Zentralbank nicht mehr ausschließen, mit
dem Ziel, den Euro zu retten. Ebensolche liquiditätssteigernden
Maßnahmen, das zeigen die Erfahrungen in den USA, wirken aber nicht
zuletzt positiv auf die Performance risikobehafteter Anlageklassen.
In einem Umfeld mit hoher Liquidität und einer Trendwende der
Frühindikatoren bot sich in der Vergangenheit häufig eine sehr gute
Chance für Aktieninvestments. Die Erfahrung lehrt, dass es dann auch
keine große Rolle mehr spielt, dass die inzwischen schon kräftig
korrigierten Gewinnschätzungen zunächst noch weiter nachgeben
dürften.
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