Börsen-Zeitung: Am Abgrund, Kommentar zu Thyssenkrupp von Christoph Ruhkamp

Das Urteil des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats über
Vorstandschef Guido Kerkhoff hätte härter kaum ausfallen können: Zu
langsam habe er den Umbau vorangetrieben, Beschlüsse nicht punktgenau
umgesetzt und nicht klar gesagt, wo er hin will. Das wird aus dem
Umfeld des Kontrollgremiums berichtet. Deshalb soll Kerkhoff nun –
nach 14 Monaten an der Konzernspitze mit vier Gewinnwarnungen und
zwei Strategie-Volten – das Amt an Aufsichtsratschefin Martina Merz
abgeben, die ebenfalls erst vor sieben Monaten als sechste Wahl ins
Amt kam. Zuvor hatten fünf andere Kandidaten abgesagt.

Wie der Führungswechsel vollzogen wird zeigt, wie groß das Chaos
schon ist. In einem normalen Unternehmen hätte man gewartet, bis der
gesamte Aufsichtsrat zugestimmt hat – nicht nur das Präsidium.
Offenbar wurde Kerkhoffs Leistung zuletzt so schlecht bewertet, dass
man zu der Einschätzung kam, der Konzern sei eher von einer
interimistisch agierenden Aufsichtsratschefin Merz zu retten als von
einem langsamen CEO Kerkhoff. Ob das Tempo nun tatsächlich wächst,
ist zu bezweifeln. Eher ist Lähmung zu befürchten.

Nur in einer Hinsicht könnte mehr Geschwindigkeit aufkommen: beim
Verkauf der Aufzugssparte an einen Konkurrenten. Vielleicht hat der
schwedische Finanzinvestor und Großaktionär Cevian mit dem Rauswurf
von Kerkhoff den Weg frei bekommen für die von Cevian-Chef Lars
Förberg schon lange angestrebte Fusion von Thyssenkrupp Elevator mit
dem finnischen Aufzugshersteller Kone. Anstatt vier großer und global
tätiger Aufzugshersteller würde es dann nur noch drei geben, die umso
besseres Geld verdienen.

Auf 15 Mrd. Euro wird der Wert der Aufzugssparte geschätzt.
Thyssenkrupp braucht das Geld, das durch einen Teilverkauf
hereinkäme, sehr dringend: für neue Wertkorrekturen auf die
Problemsparten für Automobilteile, Großanlagenbau und Stahl, für die
andauernden Umstrukturierungen mit dem Abbau von 6000 Stellen. Und
nicht zuletzt auch für eine Kartellstrafe und für die 8 Mrd. Euro
schweren Pensionslasten. Die Schulden sind doppelt so hoch wie das
Eigenkapital. Neue Aktien kann der Konzern nicht so einfach ausgeben.
Dafür bräuchte es eine außerordentliche Hauptversammlung.

Den 160000 Beschäftigten ist zu wünschen, dass der Umbau schneller
Früchte trägt als die Rezession kommt. Wenn das misslingt, steht
Thyssenkrupp nicht mehr am finanziellen Abgrund, sondern ist einen
Schritt weiter.

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