Börsen-Zeitung: An Gewinnmitnahmen denken, Kommentar zum deutschen Aktienmarkt von Christopher Kalbhenn

Dieses Mal hat der Dax deutlich weniger Anläufe
benötigt. Der Index, der sich an der 10.000er-Schwelle insgesamt vier
Mal die Zähne ausgebissen hatte, ehe der Durchbruch gelang, war bei
der Marke von 11.000 Punkten bereits beim zweiten Versuch
erfolgreich. Bis auf einen Rekord von 11.015 Zählern stieg das
deutsche Standardwertebarometer am Freitag. Angesichts der
Meldungslage ist das aber nicht weiter verwunderlich. Am Donnerstag
war in Minsk die Einigung auf eine Waffenruhe für die Ostukraine
gelungen, wodurch nun die Möglichkeit besteht, dass diese extrem
brisante Krise als Belastungsfaktor wegfallen könnte. Zudem hatte
sich die schwedische Notenbank im Sog der EZB ebenfalls zu
Negativzins und Anleihekäufen durchgerungen und damit untermauert,
dass die globale Geldpolitik insgesamt gesehen nach wie vor mit
Bleifuß fährt. Am Freitag kamen dann noch die vor allem in
Deutschland und Spanien positiv überraschenden
Bruttoinlandsproduktdaten des Euroraums hinzu, begleitet von
aufkeimenden Hoffnungen, dass auch in der Griechenland-Krise eine
glimpfliche Lösung gelingen wird.

Viel Positives eingearbeitet

Die weitere Entwicklung wird nun davon abhängen, ob Letzteres auch
Wirklichkeit wird und zudem die Minsker Vereinbarung hält. Beides
unterstellt, könnte der Dax, unterstützt von der sich verbessernden
konjunkturellen Entwicklung im Euroraum und den bald beginnenden
Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank, in der Tat in der
nächsten Zeit auch noch etwas deutlicher über die Schwelle von 11.000
Zählern steigen. Allerdings werden die Bäume nun auch nicht in den
Himmel wachsen. In die Kurse ist mittlerweile eine ziemlich lange
Liste guter Nachrichten eingearbeitet worden, so dass sich die Frage
stellt, wie gut der „News-flow“ noch werden kann.

Gleichzeitig hat die Bewertung mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis
(KGV) auf Basis der Konsensschätzungen für das Jahr 2015 von 14 einen
Bereich erreicht, auf dem zwar noch nicht unbedingt das Ende der
Fahnenstange erreicht sein muss, negative Nachrichten aber für
deutlichere Rückschläge sorgen könnten. Investoren sollten daher
darüber nachdenken, bei weiteren Kursavancen damit zu beginnen,
schrittweise Gewinne mitzunehmen.

Dies gilt umso mehr, als sich durchaus auch jenseits der
geopolitischen Krisenherde Belastungsfaktoren abzeichnen. So steht
die Leitzinswende in den USA bevor. Die Folge wird unter anderem ein
– wenn auch moderater Anstieg – der Anleiherenditen sein, wodurch
Festverzinsliche ihren Nachteil gegenüber Dividendentiteln ein Stück
weit wieder loswerden. Zudem kann es im unmittelbaren Umfeld der
ersten Leitzinserhöhung zu Verunsicherung und stärkeren
Marktschwankungen kommen.

Zu bedenken ist ferner, dass die Schätzungen für die
Unternehmensgewinne sinken. Dazu trägt der globale Disinflationstrend
bei. Gewinne sind nominale Größen, so dass die weltweit sinkenden
Teuerungsraten in Form von Abwärtsrevisionen in die Prognosen
eingehen. Im Zentrum stehen die USA. Helvea-Baader wies kürzlich
darauf hin, dass die Erwartungen für die Gewinne je Aktie der S&P
500-Unternehmen dieses Jahres, die vor drei Monaten noch zweistellig
waren, nun bei nur noch 2,9% liegen. Das Wertpapierhaus befürchtet,
dass der Druck von der Preis- und zusätzlich von der Währungsseite
die Fähigkeit der Unternehmen, die Erwartungen der Anleger zu
erfüllen, weiterhin beeinträchtigen wird.

Auch die DZ Bank verwies am Freitag auf die US-Risiken. Der harte
Dollar setzt den großen börsengelisteten US-Unternehmen zu. Die
Gesellschaften im S&P 500 erzielten jeden dritten Dollar Umsatz
außerhalb der USA und litten deutlich stärker unter der Aufwertung
des Greenback als die amerikanische Wirtschaft insgesamt, die nur
jeden zehnten Dollar im Ausland umsetze. Der Dollar werde vermutlich
auch in den kommenden Monaten weiter zulegen, was sich erneut negativ
auf die Gewinnmargen der Auslandsumsätze der Unternehmen auswirken
würde.

Gewinnrückgang denkbar

Die Gewinnschätzungen für den S&P 500 selbst befänden sich schon
seit geraumer Zeit im Sinkflug. Ursache für diese Bewegung sei der
Fall der Rohölpreise, der die Gewinne der großen Energiekonzerne
drücke. Inzwischen gingen die Analysten aber dazu über, die
Gewinnerwartungen für 2015 auch wegen der Dollar-Stärke zu
reduzieren. Wenn der Revisionstrend in den kommenden Wochen anhalte,
werde das Gewinnwachstum, bezogen auf das Gesamtjahr 2015,
möglicherweise sogar erstmalig seit 2009 wieder negativ ausfallen.

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