Nach einer rasanten Rally, die den Dax im 
laufenden Jahr in der Spitze um rund 12% in die Höhe getrieben hat, 
ist seit einigen Tagen am Aktienmarkt die Zuversicht einer immer 
stärker um sich greifenden Vorsicht gewichen. Der Dax hat bezogen auf
sein Allzeithoch inzwischen rund 200 Punkte eingebüßt. Auch am 
US-Aktienmarkt hat der Schwung deutlich nachgelassen. Der Leitindex 
S&P500 hat gegenüber seinem Rekordhoch bereits rund 40 Zähler 
verloren.
   Noch ist es sicherlich viel zu früh, um eine Trendwende bzw. das 
Ende der Rally auszurufen. Wie es scheint, sind dennoch viele 
Investoren – vor allem Marktteilnehmer aus Übersee – ins Grübeln 
geraten. Für die Zurückhaltung der Anleger gibt es gute Gründe. So 
ist die Hausse zweifellos ein wenig übertrieben gewesen. Der Dax 
steht derzeit zwar nur rund 10% höher als zu Jahresanfang. Gegenüber 
dem Stand von vor einem Jahr lässt sich jedoch ein Plus von mehr als 
30% konstatieren. Es ist dabei aus fundamentaler Sicht schwer zu 
vermitteln, weshalb die Unternehmen im Dax jetzt im Durchschnitt um 
ein Drittel wertvoller sein sollen als noch vor einem Jahr. Die 
Ertragslage der Konzerne war nämlich auch 2012 bereits sehr gut, und 
ein Sprung der Gewinne ist seither nicht festzustellen. Für den 
US-Aktienmarkt ist Ähnliches festzustellen: Der S&P500 hat sich 
gegenüber dem Stand von vor zwölf Monaten um rund 26% verteuert.
   Auch wenn, wie die Bundesbank jüngst noch einmal vorgerechnet hat,
eine Überbewertungsblase noch nicht festzustellen ist, darf doch 
angemerkt werden, dass weitere Kursanstiege ausgehend vom aktuellen 
Niveau immer schwieriger zu rechtfertigen sind. Auf Basis der 
Schätzungen der DZBank für die Dax-Unternehmensgewinne im laufenden 
Jahr ist der deutsche Leitindex mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 
11,6 zwar noch nicht üppig bewertet, er ist allerdings auch nicht 
mehr billig zu nennen. Die DZBank-Aktienstrategen sprechen in diesem 
Zusammenhang von einem „Missverhältnis zur fundamentalen Entwicklung 
der Unternehmen“.
   Ferner ist das Ausmaß der Rally vor dem Hintergrund der aktuellen 
konjunkturellen Situation kritisch zu sehen. Insbesondere in Europa 
ist die Lage fast schon desolat zu nennen. Die Organisation für 
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet für 
die Eurozone im laufenden Jahr ein Schrumpfen des 
Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,6%. Im November war sie noch von 
einem deutlich kleineren Minus von 0,1% ausgegangen. 
OECD-Generalsekretär Ángel Gurría bewertet die konjunkturelle Lage 
als „sehr anfällig“. Vor allem mit Blick auf die Arbeitslosigkeit in 
Europa, die sich nach OECD-Einschätzung nach einem weiteren Anstieg 
auf hohem Niveau stabilisieren wird, scheinen weitere Enttäuschungen 
programmiert zu sein.
   Als Hauptgrund für die Abkühlung des Aktiensentiments ist jedoch 
die Angst der Investoren vor der US-Notenbank zu nennen. Deren 
Chairman Ben Bernanke hat nämlich kürzlich bei einem Auftritt vor dem
Kongress noch einmal darauf hingewiesen, dass die milliardenschweren 
Anleihekäufe der Fed bald zurückgefahren werden könnten. Zwar stellte
Amerikas oberster Notenbanker klar, dass er damit nicht an eine 
Einstellung der quantitativen Maßnahmen denkt. Dennoch hat er 
Eindruck gemacht: Seit dieser Äußerung bewegen sich Dax und S&P500 
leicht nach unten – womit noch einmal unterstrichen wäre, dass die 
Aktienmärkte aktuell am Tropf der Notenbanken hängen.
   Bernanke verwies auf zwei Bedingungen, die für eine Reduzierung 
der Anleihekäufe erfüllt sein müssen: Es sollten sich sowohl die 
Konjunktur als auch der Arbeitsmarkt zufriedenstellend entwickeln. 
Was die Konjunktur betrifft, so sieht es mit einem auf eine 
Jahresrate hochgerechneten Anstieg des US-Bruttoinlandsprodukts von 
2,5% im ersten Quartal deutlich rosiger aus als in Europa, sodass 
sich der Fed in dieser Hinsicht kaum Hindernisse in den Weg stellen.
   Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu erwarten, dass die 
Europäische Zentralbank (EZB) dem Markt anlässlich ihrer 
zinspolitischen Sitzung am kommenden Donnerstag zusätzlichen 
Rückenwind geben wird. Die Mehrzahl der Beobachter geht jedenfalls 
nicht davon aus, dass der EZB-Rat den Leitzins erneut senken wird. 
Mit einem derartigen Schritt wäre wohl erst dann zu rechnen, wenn die
erhoffte konjunkturelle Erholung der Eurozone ausbliebe. So etwas 
wird von den Akteuren am Aktienmarkt momentan allerdings (noch) nicht
als realistische Perspektive angesehen.
(Börsen-Zeitung, 1.6.2013)
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