Börsen-Zeitung: Auf dem Pulverfass, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn

Schwache Nerven kann man den Akteuren am
Aktienmarkt derzeit nicht gerade nachsagen. Trotz Atomkrise,
Eskalation in Libyen und der erneut hochkochenden Euro-Schuldenkrise
haben die Indizes eine deutliche Erholungsbewegung gezeigt. Der Dax
hat sich in der gerade beendeten Woche um 4,2% erholt; gegenüber dem
Tief vom 15. März ist das deutsche Standardwertebarometer um bis zu
7,1% gestiegen. Am Freitag geriet sogar die Marke von 7000 Zählern in
Sichtweite und wurde vom im Juni auslaufenden Dax-Future sogar
vorübergehend überschritten.

Eine Gegenbewegung nach Verlusten gegenüber dem Jahreshoch von
7442 Zählern ist per se nicht ungewöhnlich. Dass sich die Lage im
Atomkraftwerk Fukushima nicht verschärfte und die eingeleiteten
Maßnahmen Hoffnungen weckten, dass Schlimmeres verhütet werden
könnte, musste Short-Eindeckungen auslösen. Zudem ergab sich für
Marktteilnehmer, die die Rally verpasst hatten und zunehmend unter
Performance-Druck geraten waren, die Chance, sich zu günstigeren
Kursen Bestände zulegen zu können.

Damit setzt sich das günstige Umfeld wieder durch, das die seit
dem März 2009 anhaltende Rally nährt: eine deutliche Erholung der
Weltwirtschaft und damit einhergehend stark steigende
Unternehmensgewinne, die bei den im Dax enthaltenen Gesellschaften
sogar wieder Rekordniveau anpeilen, niedrige Marktbewertungen, extrem
hohe anlagesuchende Liquidität und ein Mangel an zufriedenstellende
Erträge bietenden Anlagealternativen zu Aktien.

Enorme Risiken

Ob der Markt nun zur Tagesordnung übergehen und der Dax zügig die
Höhen von mehr als 7400 Zählern wieder erreichen kann, ist derzeit
aber noch zweifelhaft. Denn die Risiken sind enorm und könnten
jederzeit weitere heftige Rückschläge auslösen. Das gilt vor allem
immer noch für die Lage in Japan. Das Risiko eines Reaktorunglücks
ist keineswegs gebannt und wird es – soweit sich das derzeit
beurteilen lässt – noch einige Wochen nicht sein. Und selbst wenn
eine Explosion abgewendet werden kann, ist noch nicht abzusehen,
welches Ausmaß die Verstrahlung noch annehmen wird. Sollte der
Großraum Tokio stärker in Mitleidenschaft gezogen werden, wird das
negative Auswirkungen globalen Ausmaßes haben. Kurzum: Wohl und Wehe
der Weltwirtschaft und damit auch der Aktienmärkte hängen davon ab,
dass die Atomkrise einigermaßen eingedämmt werden kann.

Nicht gerade beruhigend sind auch die Nachrichten aus Libyen. Die
Intervention gegen Gaddafi hat zwar ein Massaker im Osten des Landes
in buchstäblich letzter Minute abgewendet und die Luftwaffe des
Despoten ausgeschaltet. Doch was soll nun geschehen? Gaddafi zu
stürzen ist in dem Uno-Mandat nicht vorgesehen. Da aber das
Verhältnis des Westens zu Gaddafi irreparabel zerstört ist, ist nicht
zu erkennen, wie man in Zukunft mit ihm auskommen kann. Anzeichen,
dass er bald aufgibt oder von seinen Leuten gestürzt werden könnte,
liegen nicht vor. Somit droht aus einer Militäraktion, die
ursprünglich nur von sehr überschaubarer Dauer und Ausmaß sein
sollte, eine monatelange Auseinandersetzung zu werden, die unter
Umständen in ein Fiasko münden wird. Wieder sinkende Ölpreise
scheinen jedenfalls in weite Ferne zu rücken.

Inflationsdruck steigt

Nicht einfacher wird die Lage dadurch, dass nun der
Inflationsdruck zusätzlich steigt und damit auch der Druck auf die
bislang noch zögerlichen Notenbanken der entwickelten
Volkswirtschaften, den Schwellenländern zu folgen und die Leitzinsen
zu erhöhen. Die Europäische Zentralbank hat zuletzt nochmals ganz
klar zu verstehen gegeben, dass sie aufgrund der zunehmenden
Inflationsrisiken auf ihrer nächsten Ratstagung eine Leitzinsanhebung
beschließen wird. Strategen haben zwar belegen können, dass der
Beginn eines Zinserhöhungszyklus nicht automatisch eine ausgeprägte
Schwäche am Aktienmarkt auslösen muss, sondern im Gegenteil
Dividendentitel während der jüngeren Anhebungszyklen sogar zulegten.
Andere Experten haben aber darauf hingewiesen, dass im Unterschied zu
diesen Zyklen der aktuelle in einer Phase beginnt, in der sich das
Wachstum abschwächt und die Stimmungsindikatoren den Zenit
überschritten haben.

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