Börsen-Zeitung: Bewährungsprobe folgt, Kommentar zu Siemens/Nokia von Michael Flämig

Wie schön kann doch das Leben sein! Da veräußert
ein Dax-Wert (Siemens) ein Unternehmen (Netzwerksparte NSN) für 1,7
Mrd. Euro an einen anderen Global Player (Nokia), und die Aktienkurse
sowohl des Erwerbers als auch des Verkäufers gehen in die Höhe.
Offenbar eine Win-Win-Situation. Doch gemach. Weder bei den Finnen
noch bei den Münchnern ist Selbstzufriedenheit am Platz. Der Deal
kann in beiden Häusern nur ein Startpunkt sein.

Auf dem Papier hat Nokia die Nase vorne mit einem Kursplus von 4%
im Vergleich zu 3% bei Siemens. Dies ist trotzdem kein Grund, in
Espoo Champagnerflaschen zu köpfen. Denn der Kurssturz 2012 ist bis
dato nur zum Bruchteil ausgeglichen. Die Bewährungsprobe bleibt, in
der Schlacht bei Smartphones gegen Apple & Co. zu bestehen. Doch was
passiert mit NSN? Es gibt zwei Optionen: ein Standbein rund um die
Netzwerke aufzubauen oder die Gesellschaft ganz oder teilweise
weiterzureichen. Die Signale aus Finnland – angefangen bei den
internen Berichtslinien – deuten darauf hin, dass der Vorstand mit
einem profitablen Weiterverkauf liebäugelt. Das Kalkül: Ohne
Restrukturierungsausgaben liefert NSN ansehnliche Margen.

Siemens gestehen die Anleger ebenfalls ein Kursplus zu. Kein
Wunder, war die Netzwerksparte doch in jeder Hinsicht ein
Verlustgeschäft für die Münchner. Der Konzern hatte bei NSN eine
Minderheitsposition ohne durchgreifenden Einfluss, musste über die
Jahre rote Zahlen in Höhe von 2,7 Mrd. Euro schultern, investierte
zudem jede Menge Managementleistung in das Asset und konnte das
gewonnene Know-how mangels Synergie nicht für seine sonstigen
Geschäfte nutzen.

Doch Champagner ist auch für Siemens nicht das Getränk des Tages.
Es hat seinen Grund, dass das Kursplus kleiner als beim
Geschäftspartner ausfällt. Die Bewertung zeigt, dass Siemens wieder
einmal draufzahlt. Der Kaufpreis liegt beim 0,2fachen des Umsatzes,
während Ericsson auf das 0,9fache kommt und Alcatel-Lucent immerhin
noch das 0,3fache auf die Waage bringt. Klar: NSN ist defizitär. Aber
sollte sich die Restrukturierung nicht irgendwann auszahlen?

So richtig der NSN-Deal aus strategischer Sicht auch ist – die
Aufgabe muss sein, dass die Münchner nicht zu teuren Exits gezwungen
werden. Dies ist die erste Bewährungsprobe für das Management. Noch
wichtiger: Nun muss der Vorstand das Kerngeschäft in den Griff
kriegen. Der NSN-Buchgewinn in niedriger dreistelliger Millionenhöhe
muss die schon herabgesetzte Prognose im laufenden Geschäftsjahr
retten. Derartige Reserven gibt es in Zukunft nicht mehr.

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