Börsen-Zeitung: Das halb leere Glas, Kommentar zu Bayer von Annette Becker

Bayer hat es geschafft! Die Korrektur der
Prognose für das Gesamtjahr konnte allen Unkenrufen zum Trotz
vermieden werden, auch wenn der Ausblick nun den unschönen Zusatz
„zunehmend ambitioniert“ trägt. Doch was in Leverkusen angesichts der
zahlreichen Gewinnwarnungen der vergangenen Wochen zum Aufatmen
verführte, wollte bei Analysten und Investoren nicht so recht
verfangen. Nicht nur weil die für das zweite Quartal ausgewiesenen
Zahlen spürbar unter den Erwartungen lagen, sondern auch weil der
Prognosezusatz als versteckte Gewinnwarnung ausgelegt wurde. Wie
immer kommt es auf die Perspektive des Betrachters an, ob das Glas
halb voll oder halb leer ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Anzahl der Klagen rund um das
Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, das sich Bayer mit der Übernahme
von Monsanto einkaufte, weiter gestiegen ist. Ausgehend von den 13400
Klagen, die am 11. April in den USA anhängig waren, werden drei
Monate später schon 18400 Klagen gezählt. Im Klartext heißt das, die
Klagewelle hat weiter Fahrt aufgenommen. Dafür hat Bayer auch eine
Erklärung zur Hand, ließ sich doch beobachten, dass die
US-Klageindustrie seit Ende Mai ihre Werbeausgaben für den
Glyphosat-Komplex massiv erhöht hat. Allein im Juni hätten sich die
Ausgaben für TV-Werbung fast vervierfacht. Grund dafür sollen nicht
etwa die in erster Instanz verlorenen Prozesse sein – davon gibt es
mittlerweile drei -, sondern die Mediationsanordnung eines Richters
in San Francisco, an dessen Gericht mehrere hundert Glyphosat-Klagen
anhängig sind. Zum Schlichter wurde Staranwalt Ken Feinberg ernannt,
der schon in schillernden Schadenersatzfällen wie dem Öldesaster
Deepwater Horizon oder dem VW-Abgasskandal vermittelte. Damit sei der
Startschuss für die Klägeranwälte gefallen.

Anstatt Ursachenforschung zu betreiben, wäre es jedoch weitaus
sinnvoller, einen schnellen Weg aus dem Klageschlamassel zu finden.
Dass der Weg dabei nur über einen Vergleich führen kann, ist Bayer
durchaus bewusst. Erst im März dieses Jahres wurde der Rechtsstreit
um Xarelto auf diese Weise bereinigt, obwohl Bayer – anders als im
Glyphosat-Prozess – die sechs Xarelto-Verfahren allesamt für sich
hatte entscheiden können.

Noch allerdings gibt Bayer Durchhalteparolen aus. Sollte es am
Ende doch auf einen Vergleich hinauslaufen, müsse dieser „finanziell
angemessen“ sein, formuliert Bayer-Chef Werner Baumann als
Bedingung. Was darunter zu verstehen ist, hängt allerdings auch vom
Blickwinkel ab.

Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de

Original-Content von: Börsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell