Das überraschend schnelle Vordringen der
libyschen Aufständischen in die Hauptstadt Tripolis hat Hoffnungen
geweckt, dass der Bürgerkrieg in dem arabischen Land schon in Kürze
beendet sein könnte. Als Folge davon, so hoffen jedenfalls viele
Akteure am Ölmarkt, könnten die kriegsbedingt ausgefallenen
Öllieferungen bald wieder aufgenommen werden. Daher ist der Preis der
europäischen Benchmark-Ölsorte Brent am Montagmorgen, als es noch so
aussah, als seien die Absetzung des Diktators Muammar al-Gaddafi und
die Etablierung der Übergangsregierung in der Hauptstadt nur noch
eine Frage von Stunden, um rund 2% gefallen. Am frühen Nachmittag
hingegen, als die Lage in Libyen unübersichtlicher wurde, hat der
Ölpreis zumindest einen Teil seiner Verluste wieder aufgeholt.
Sollte die Hoffnung Realität werden und Libyen die Lieferungen in
der Tat bald wieder aufnehmen, dürfte der Ölpreis zumindest in Europa
ein Stück weit nachgeben. Libyen war vor dem Bürgerkrieg für immerhin
rund 2% der Weltförderungen des Energieträgers verantwortlich. Das
mag nach wenig klingen. Zu berücksichtigen ist aber, dass die
libyschen Lieferungen von besonders hoher Qualität sind und wegen
ihres niedrigen Schwefelgehaltes in Raffinerien besonders gut
weiterverarbeitet werden können. Zudem sind Verknappungen auf dem
Ölmarkt wegen der eingeschränkten globalen Arbitrage-Möglichkeiten
regional zu sehen. Daher hatte sich der Spread zwischen der US-Sorte
West Texas Intermediate (WTI) und Brent mit Blick auf die leicht
angespannte Situation im europäischen Teilmarkt stark ausgeweitet.
Diese Situation dürfte sich in den kommenden Wochen wieder
normalisieren.
Der aktuell wichtigste Einflussfaktor auf den Ölpreis ist jedoch
die globale Konjunkturentwicklung. Diese wird – unter anderem wegen
der Rückwirkungen der Turbulenzen an den Finanzmärkten – zunehmend
kritisch gesehen. Inzwischen ist sogar eine waschechte Rezession
nicht mehr ausgeschlossen. Sollten sich die makroökonomischen
Frühindikatoren weiter eintrüben, wird es unweigerlich zu einem
spürbaren Preisrutsch am Ölmarkt kommen, der dann sowohl Brent als
auch WTI betrifft.
Dazu dürfte auch beitragen, dass sich das Kartell Organisation
Erdöl exportierender Staaten (Opec) wie schon in den vergangenen
Monaten mit Förderkürzungen sehr schwertut. Wenn die Opec wegen der
Ansprüche von Hardliner-Staaten wie dem Iran nicht rasch reagiert,
könnte der Ölpreis in den kommenden Wochen recht deutlich sinken.
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