Börsen-Zeitung: Die Geister, die er rief, Kommentar zu EZB-Präsident Mario Draghi von Detlef Fechtner

Mario Draghi hat dafür gesorgt, dass die letzte
Ratssitzung unter seiner Leitung in Sachen geldpolitische Signale ein
echtes „Non-Event“ war. Das liegt freilich daran, dass er vor einem
Monat bereits das ganz große geldpolitische Besteck ausgepackt hat –
und sich nun darauf beschränken konnte, die Ankündigungen (etwa der
Wiederaufnahme von Netto-Anleihekäufen) zu bestätigen.

Die Kritik seiner Kollegen aus Deutschland, Frankreich und den
Niederlanden, die zuvor ungewöhnlicherweise sogar öffentlich auf
Distanz gegangen waren, lächelte Draghi weg. Die Tatsache, dass am
Donnerstag die Bestätigung der September-Beschlüsse abgenickt wurde,
zeige doch, dass es im EZB-Rat letztlich recht einvernehmlich zugehe.
Man konnte als Zuschauer geneigt sein, dem scheidenden
EZB-Präsidenten diese harmonische Bestandsaufnahme abzukaufen. Das
aber wäre denn doch ein bisschen zu viel rosa Brille.

Gewiss, was die Bewertung von Draghis achtjähriger Amtszeit
angeht, kann man zu unterschiedlichen Urteilen gelangen. Durch sein
„Whatever it takes“ und die anschließende Entschlossenheit zur
Umsetzung hat er die Finanzkrise in einem explosiven Moment
entschärft – und die Eurozone vom Risiko riesiger Schäden befreit,
falls die Regierungen nicht schnell genug zu Potte gekommen wären, um
die Feuerkraft ihrer Rettungsfonds angemessen zu erhöhen.

Aber so bemerkenswert erfolgreich, wie Draghi bei der
Stabilisierung in den Hochzeiten der Krise war, so deutlich ist sein
Scheitern beim Versuch, die Geldpolitik später wieder in die
Normalität zurückzuführen. Dass vieles im vorigen Jahr nicht so rund
lief in der Eurozone, war kein Grund, sich umgehend wieder in den
Vollkrisenmodus zu flüchten. Wie dem Zauberlehrling Goethes ist es
Draghi nicht gelungen, die Geister, die er rief, wieder loszuwerden.

Noch schwerer wiegt, dass er einen gespaltenen EZB-Rat hinterlässt
– und durch die Zementierung des ultralockeren Kurses über seine
Amtszeit hinaus dafür sorgt, dass seine Kollegen, selbst wenn sie
wollen, nur äußerst langsam umsteuern können. Die Gefahr ist
offensichtlich: Falls die Eurozone in den nächsten Jahren in eine
Krise schlittert, ist nicht nur das Instrumentarium an Gegenmaßnahmen
weitgehend ausgereizt. Noch dazu ist die Glaubwürdigkeit der EZB
angekratzt. Wenn sich also Christine Lagarde irgendwann hinstellt und
„Whatever it takes“ ankündigt, kann es gut sein, dass die Märkte ihr
das nicht mehr abnehmen. Daran wäre dann weniger die Französin schuld
als vielmehr ihr Vorgänger.

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