Börsen-Zeitung: Die große Illiquidität, Marktkommentar von Kai Johannsen

Die Europäische Zentralbank (EZB) wird im
nächsten Monat die Ausweitung des Quantitative Easing (QE) ankündigen
– das ist derzeit die feste Erwartung der meisten Marktteilnehmer.
Bei der zurückliegenden Sitzung der EZB hat ihr Chef Mario Draghi
diese Erwartung ganz klar ausgelöst. Schon seinerzeit fragte sich so
mancher, unter welchen Bedingungen es im Dezember überhaupt noch
möglich wäre, dass Draghi diesen Schritt unterlässt. Es müsste bis
dahin ja schon ein Inflationswunder geschehen.

Und auch jetzt lässt Draghi keine Gelegenheit aus, um die
Erwartung einer QE-Ausweitung im Markt immer stärker zu verankern.
Deutlich betonte er in dieser Woche vor dem Wirtschafts- und
Währungsausschuss des Europaparlaments seine Bereitschaft, die
Geldschleusen noch weiter zu öffnen. Er verwies abermals auf die
niedrige Inflation. Es könne länger dauern als im März gedacht, bis
sich die Preisentwicklung wieder anhaltend normalisiere, so der
EZB-Chef. „Falls wir zu dem Schluss kommen, dass unser
mittelfristiges Preisstabilitätsziel in Gefahr ist, werden wir
handeln, indem wir alle Instrumente innerhalb unseres Mandats
nutzen“, so Draghi.

Angesichts der nach wie vor nicht endgültig gebannten
Deflationsgefahren wird die EZB im Urteil der Marktakteure deshalb
nun bald nachlegen. Einzig und allein in der Frage des Wie gehen die
Meinungen noch auseinander. Viele im Markt gehen davon aus, dass die
EZB das Kaufprogramm einerseits verlängern wird und andererseits das
Volumen der monatlichen Käufe gleichzeitig noch erhöht. Bei der
zeitlichen Verlängerung über September 2016 hinaus wird nun allgemein
das Jahr 2017, aber vielfach auch 2018 ins Spiel gebracht. Sehr viel
weiter in die Zukunft werden die Käufe – nach derzeitiger
Einschätzung – wohl nicht verlagert werden. Bei der volumenmäßigen
Ausweitung gehen die Bandbreiten ebenfalls weit auseinander. Viele
rechnen mit 500 Mrd. Euro.

Aber ist das dann der große Wurf? Reicht das nach dieser Rhetorik
der vergangenen Wochen aus? Viele bezweifeln das und glauben, dass
noch mehr kommen wird. Gleichzeitig könnte die EZB auch noch den
Einlagensatz, der derzeit bei minus 0,20% liegt, weiter in den
negativen Bereich absenken. Denn damit hilft sich die EZB beim
Bondkaufprogramm selbst. Hat sie sich doch auferlegt, Papiere bis zu
der Renditeuntergrenze des Einlagensatzes zu kaufen. Sieht man sich
einmal die Staatsanleihekurven innerhalb der Eurozone an, so stellt
man fest, dass in vielen Ländern das kurze Ende für die EZB längst
nicht mehr zu den „kaufbaren“ Anleihen gehört, da die Renditen schon
darunterliegen. Nebenbei bemerkt: Die Blitz-Crashs im April und Mai
dieses Jahres, die die Renditen in wenigen Tagen kräftig nach oben
befördert haben, müssen die Notenbanker geradezu als willkommene
Kaufgelegenheit empfunden haben.

Immer mehr wird an den Märkten aber auch darüber diskutiert, dass
auch die Bandbreite der Assets innerhalb des Kaufprogramms
ausgeweitet wird. Bislang sind es neben Asset Backed Securities
(ABS), Covered Bonds und Staatsanleihen auch Anleihen von
supranationalen Emittenten und Agencies. Aber auch ein paar
staatsnahe Unternehmensadressen gehören schon dazu. Jetzt könnten
auch noch andere Emittentenkreise in Frage kommen. Zu denken ist an
Anleihen der deutschen Länder, spanischer Regionen sowie die
entsprechenden kommunalen Papiere anderer Staaten bis hin zu den
kleinvolumigen Städtebonds. Hinzu kommen könnten Titel von
Infrastrukturunternehmen und Schuldpapiere von solchen Unternehmen,
die einmal in Staatsbesitz waren, an denen der Staat noch einen
Anteil hat oder die sich einer hohen staatlichen
Unterstützungswahrscheinlichkeit sicher sein könnten – der Fantasie
sind keine Grenzen gesetzt, wenn man den Staatsbezug definieren soll.

Die ersten Analysten rechnen denn auch schon vor, wie groß die
Zinsersparnis denn sein könnte, die den deutschen Ländern aus dem
Ankauf ihrer Bonds durch die EZB entsteht. Bei einem
Refinanzierungsvolumen der deutschen Länder von insgesamt 80 Mrd.
Euro im kommenden Jahr kommt die Nord/LB zu prognostizierten Werten
von 40 bis 56 Mill. Euro pro Jahr.

Vollkommen richtig, aber was heißt das noch? Immer mehr
Rentenmarktsegmente werden völlig illiquide werden. Die Renditen
sacken immer weiter ab, erratische Ausschläge nehmen drastisch zu.
Das Ergebnis: Die wenigen Basispunkte, die der Anleger noch an Zinsen
verdient, verliert er, wenn er einen vollen Prozentpunkt oder mehr
beim späteren Verkaufspreis abgenommen bekommt.

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