Börsen-Zeitung: „Ende eines Experiments“, Kommentar zur Entwicklung an den Märkten in den vergangenen Tagen mit Blick auf die nächste Woche von Dietegen Müller

Wer eine rasche Beruhigung nach dem Flash Crash
in New York zu Wochenanfang erwartet hat, sieht sich enttäuscht: Die
Aktienkurse sind nach kurzer Erholung wieder unter Druck geraten.
Die Korrektur von gut 10% seit dem Rekord Ende Januar gemessen am
S&P 500 ist in den Augen von William Dudley, Chef der New York Fed,
aber unbedeutend – „Small Potatoes“. Es ist zu hoffen, dass es sich
hier nicht um eine Neuauflage legendärer „Peanuts“ handelt.

Verschiedene Dinge kommen in der Korrektur zusammen. Nicht zuletzt
eine größer werdende Zahl von Marktteilnehmern, die eine neue
Marktphase mit steigender Inflation erwarten, ausgehend von den USA.
Da Kurse im Orderbuch „an der Grenze“ gemacht werden, reicht es,
wenn einige Akteure nicht mehr bereit sind, zu den hohen Bewertungen
noch in den Markt einzusteigen. Diese gehen wohl davon aus, dass
die Zinsen über einen längeren Zeitraum und kontinuierlich steigen
dürften. Bisher wurde vielleicht nur von ein, zwei Zinsschritten
ausgegangen. Resultieren daraus steigende Realzinsen, schmälert dies
den Barwert der künftigen Gewinne der Unternehmen, und die Bewertung
sinkt – die Aktienkurse fallen.

Skeptiker warnen seit Jahren, auf die schrittweise
Liquiditätsdrosselung durch die Notenbanken seien viele
Marktteilnehmer, wenn es dann dazu kommt, nicht vorbereitet. Da die
Bewertungen immer höher gestiegen sind, könnte das Ende dieses
Experiments zu weiteren Turbulenzen führen, weil die Effekte daraus
unterschätzt werden. Hinzu kommt die Neigung zu „Deficit Spending“ in
wichtigen Wirtschaftsregionen, was Sorgen vor einer Geldentwertung
befeuert.

Die bisherige Korrektur kam abrupt, ist aber bisher moderat: Der
S&P 500 ist auf den Stand von November zurückgefallen. Das
(erwartete) Auslaufen der Wertpapierkaufprogramme großer Notenbanken
stellt den Beginn des Endes des größten geldpolitischen Experiments
moderner Wirtschaftsgeschichte dar. Es ist gut möglich, dass der
Markt angesichts dieser Dimension noch heftiger reagieren wird.
Niemand weiß, ob die unerwünschten Nebeneffekte sichtbar werden,
wenn die enorme Liquidität wegfällt.

Die Veröffentlichung des US-Konsumentenpreisindex am Mittwoch gilt
darum als bedeutsam. Jim Reid, Ökonom bei der Deutschen Bank, geht
davon aus, dass sich dann entscheiden dürfte, ob der Bullenmarkt
eine Fortsetzung findet oder ob die Korrektur weitergeht, sprich eine
neue Zeitrechnung beginnt.

Abrupte, heftige Kursveränderungen sind ein Zeichen, dass neue
Informationen verarbeitet werden. Hinzu kommt ein technischer Faktor:
Das Ende der Ära üppiger Liquiditätszufuhr dürfte die
Schwankungsbreite der Kurse – die Volatilität – erhöhen. Die
Volatilität war zuvor über viele Jahre hinweg stetig gesunken.
Experten verwiesen als Ursache dafür auch auf die quantitative
Lockerungspolitik der Notenbanken.

Am vergangenen Montag machte der Chicagoer Volatilitätsindex Vix
nun den größten je verzeichneten Sprung nach oben. Auch in Frankfurt
zog der VDax New an. Es muss sich zeigen, ob es sich um eine Episode
handelt oder ob die Volatilität dauerhaft höher bleibt. Es muss sich
auch zeigen, was dies dann für die riesige Zahl an Finanzprodukten
bedeuten würde, die inzwischen mit Volatilität verknüpft sind.
Erfahrene Fondsmanager halten sie für sehr komplex, da sie teils
„Derivate auf Derivate“ darstellen. Kommt Fremdfinanzierung ins
Spiel, könnten daraus ungewollte Ansteckungseffekte resultieren, weil
etwa am Kassamarkt Zwangsverkäufe nötig werden.

Wie groß die mit Volatilität verknüpften Anlagesummen sind, ist
unklar. Schätzungen reichen laut Bloomberg bis 2 Bill. Dollar. Sie
entfallen auf Strategien, die Anlagen nach Risikobeitrag gewichten
(Risk Parity), oder auf Volatilitätszielfonds, Hedgefonds oder
Exchange Traded Products (ETP). Société Générale schätzt dabei die
mit dem Vix verbundenen ETP auf „nur“ 8 Mrd. Dollar Volumen.

Es gibt aber Marktteilnehmer, die hier Ansteckungseffekte
befürchten. Ein Indiz war der Kurseinbruch der Aktien der Credit
Suisse am Dienstag. Die Bank hat eine börsengehandelte
Schuldverschreibung ausstehend, Velocity Shares Daily Inverse VI
(XIV). Nach dem Rekordsprung des Vix brach deren Wert um 90% ein
(vgl. Grafik). CS habe so einen substanziellen Handelsverlust
erlitten, wurde kolportiert. Die Bank dementierte – sie sei
abgesichert gewesen. Wie im Prospekt dargelegt wird das Produkt nun
zu einem Bruchteil des früheren Werts aus dem Handel genommen.
Erleiden nun weitere Vola-Produkte ein ähnliches Schicksal, wird das
den Markt belasten.

(Börsen-Zeitung, 10.02.2018)

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