Börsen-Zeitung: Geliefert / Kommentar zur Zinsentscheidung der US-Notenbank von Kai Johannsen

Der Markt hat sie gefordert, die Fed hat sie
geliefert: die US-Leitzinssenkung. Gestern Abend hat die US-Notenbank
den Leitzins um 25 Basispunkte gekappt. Das ist die erste Zinssenkung
seit gut zehn Jahren. Im Dezember 2008 – die US-Investmentbank Lehman
Brothers hatte drei Monate zuvor die Grätsche gemacht – hatten die
US-Währungshüter zuletzt eine Zinssenkung vorgenommen. Im Dezember
2015 hatten sie den Erhöhungsmodus eingeläutet.

Mit diesem Schritt hat Fed-Chef Jerome Powell, der seine
Handlungsbereitschaft klar in Aussicht gestellt hatte, die Zinswende
eingeleitet, und die US-Notenbank ist damit nach gut dreieinhalb
Jahren von Zinsanhebungen wieder im Modus der lockeren Geldpolitik
angekommen. Diesem Schritt werden weitere Zinsschritte nach unten
folgen. Die Wirtschaft der USA liegt derzeit zwar nicht am Boden,
aber Makrodaten geben immer wieder Schwächesignale. Auch der Fed ist
bekannt, dass die US-Konjunktur nun schon mehr als zehn Jahre auf
Expansionskurs ist und dieser nicht ewig anhält. Zudem weiß die Fed
um die Auswirkungen des US-Handelsstreits mit China. Verunsicherung,
Investitionszurückhaltung und in der Folge Konjunkturschwäche sind
das Szenario, das die Fed über die Schützenhilfe der Zinssenkung zu
verhindern oder zumindest abzumildern versucht. Und eines ist der Fed
klar: Der Handelsstreit ist nicht morgen passé. Volkswirte gehen von
einem jahrelangen Zwist mit heftigen Auswirkungen für die am Zenit
stehende US-Wirtschaft aus.

Und nun? Die Fed wird nachlegen (müssen). Zwar nicht auf jeder
der kommenden Zinssitzungen. Sie wird betonen, auf Sicht zu fahren,
sich alle Optionen offenzuhalten und weitere Aktionen von der
Datenlage abhängig machen zu wollen. Das hat sie in der Vergangenheit
so gemacht und wird es auch jetzt tun. Es kommt für die Fed aber ein
Aspekt erschwerend hinzu: die Fehler der Vergangenheit, die sich nun
rächen. Die Fed hatte die erste Zinsanhebung viel zu lange
hinausgeschoben und ist auch bei den anschließenden Erhöhungen zu
zögerlich geblieben. Das heißt, dass sie sich für diese nun
anstehende wirtschaftliche Phase zu wenig Pulver beiseitegelegt hat.

Jetzt muss sich zeigen, wie weit sie mit ihren Zinssenkungen
kommt, wie viel sie damit noch bewirken kann. Vermutlich wird sie zu
weiteren Waffen greifen müssen, ähnlich wie die EZB, die der Fed in
Sachen ultralockerer Geldpolitik nächsten Monat folgen wird. Die
Bondmärkte werden das antizipieren, die Renditen noch tiefer in den
Negativbereich abrutschen. Die Verzerrungen in den Zinsmärkten werden
sich verschärfen.

(Börsen-Zeitung, 01.08.2019)

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