Börsen-Zeitung: Geschafft! Wirklich? Kommentar zur Solvency-II-Einigung von Antje Kullrich

Nach 13 Jahren zähen Ringens in Europa
gestattete sich der Chefaufseher der deutschen Assekuranz bei der
Bewertung der Solvency-II-Einigung in Brüssel ein wenig Euphorie:
Felix Hufeld sprach von einem historischen Tag, doch die
Champagnerkorken wollten weder er noch sein Kollege Gabriel
Bernardino von der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA knallen
lassen. „Aufseher trinken Wasser“, beschied Bernardino – und verriet
damit, dass trotz der Aufbruchstimmung, die am an diesem
novembergrauen Tag verbreitet wurde, immer noch ein beträchtlicher
und steiniger Weg bis zum Start von Solvency II zurückzulegen ist.

Längst nicht alle kniffeligen Punkte sind auf der obersten
politischen Ebene geklärt worden, auch wenn bei den größten
Knackpunkten der Kompromiss gelang. So wurde die zwar technische,
aber unterm Strich ziemlich relevante Frage der
Kreditrisikoadjustierung auf die zweite Ebene geschoben – die
EU-Kommission muss jetzt bei ihren Durchführungsbestimmungen für
Klarheit sorgen. Gleiches gilt zum Beispiel für die Modellierung von
Katastrophenrisiken. Konflikte zwischen Aufsehern und Industrie, aber
auch zwischen den Versicherern verschiedener Länder sind programmiert
bzw. bestehen und sind bislang nicht gelöst. Dabei drängt die Zeit.
Nach der EU-Kommission muss die EIOPA noch die technischen Standards
definieren, die Staaten müssen das Mammutprojekt in nationales Recht
umsetzen, und dazwischen wird auch noch der Europa-Wahlkampf funken.
Hier wird auf Befindlichkeiten von Parlamentariern Rücksicht genommen
werden müssen. Mit Blick auf die Erfahrungen beim Marathon Solvency
II ist Skepsis durchaus angebracht.

Doch ein grundsätzliches Scheitern des neuen Regelwerks ist mit
der Einigung im Trilog – zum Glück – in weite Ferne gerückt. Ob am
Ende doch noch ein paar Monate Verzögerung stehen, sei dahingestellt.
Für die deutschen Versicherer ist es jetzt höchste Zeit, das neue
Aufsichtsregime zu antizipieren. Dass dies noch nicht branchenweit
der Fall ist, ließ Hufeld mit seinen mahnenden Worten am Donnerstag
durchblicken. Die BaFin werde mit jeder Gesellschaft in Kontakt
treten. Harte aufsichtsrechtliche Maßnahmen seien die letzte
Konsequenz, wenn sich in den Unternehmen nichts tue.

Der Weckruf dürfte gehört worden sein. Freudig vernommen haben ihn
vermutlich vor allem die Berater. Sie wittern angesichts des
Zeitdrucks und der nicht verringerten Komplexität des Projekts ein
dickes Geschäft.

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