Hand aufs Herz: Im Grunde war es ja zuletzt
geradezu verdächtig ruhig in Sachen Staatsschuldenkrise. Italiens
Risikoprämie auf Talfahrt, Spaniens Rating in der Aufwärtsbewegung,
Irland problemlos zurück an den Märkten – und selbst aus dem
Krisen-Griechen-Land drangen zuletzt erfreuliche Nachrichten über
Primärüberschüsse. Fast hätte man auf den Gedanken kommen können,
Europa könne den Krisenmodus hinter sich lassen. Weit gefehlt.
Schließlich hängt das Schicksal der EU nicht nur an der
Schuldenquote Griechenlands oder der Konkurrenzfähigkeit Spaniens,
sondern auch an Entwicklungen jenseits der Außengrenzen –
insbesondere in den direkten Nachbarstaaten. Gerade jüngst ist
anschaulich geworden, dass dies, wenn auch in ganz anderem
Zusammenhang, etwa für die Schweiz gilt. Und natürlich für die
Ukraine. Was zwischen Lemberg und Donezk geschieht, hat erhebliche
Weiterungen für die EU. Nicht nur wegen der Rolle als Transitland für
russische Gaslieferungen, auf die der Westen angewiesen ist. Nicht
nur wegen der militärischen Gefahr, die automatisch von einem Land
ausgeht, das den Hauptstützpunkt der Schwarzmeerflotte beheimatet.
Und nicht nur wegen der Ansteckungsgefahren für Moldau, Georgien und
andere Länder.
Ein ukrainischer Staatsbankrott hätte ernste Folgen für den
Westen. Deshalb bieten EU und Internationaler Währungsfonds (IWF)
völlig zu Recht finanzielle Hilfe an. Allerdings ist die Aufgabe
dieses Mal unglaublich vertrackt. Erstens ist absehbar, dass die
notwendige Erneuerung der Wirtschaft viele Jahre oder gar Jahrzehnte
brauchen wird. Denn in der „Kornkammer“ der ehemaligen Sowjetunion
gibt es wenig außer Landwirtschaft und Schwerindustrie. Vor allem
fehlt es an Mittelständlern. Zweitens wird sich jeder Geldgeber
unbeliebt machen, der als Gegenleistung ein Ende der immensen
Subventionierung von Gas für ukrainische Haushalte verlangt – was
aber sein muss. Drittens wird es eine heikle Gratwanderung, der
Ukraine eine Annäherung an die EU zu ermöglichen, ohne Russland zu
brüskieren. Kurzum: Die Kunst besteht darin, ein wirtschaftspolitisch
in die Sackgasse geratenes, wie kein anderer europäischer Staat von
Korruption befallenes und bettelarmes Land vor der Pleite zu retten
und gleichzeitig Reformen zu erzwingen – und zwar in Einvernehmen mit
dem IWF, denn sonst reicht das Geld nicht. Und in enger Absprache mit
Russland, denn sonst droht das Land auseinanderzureißen. Dagegen war
die Rettung Griechenlands ein Kindergeburtstag.
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