Börsen-Zeitung: Im IPO-Wahn, Kommentar zu Internetfirmen von Sebastian Schmid

Normale Kenngrößen seien ungeeignet, um eine
Bewertung für Internetfirmen wie Linkedin vorzunehmen. So oder so
ähnlich äußern sich Venture-Capital-Geber und Start-up-Investoren im
Silicon Valley, wenn sie nach den atemberaubenden Umsatz-Multiples
gefragt werden, zu denen an die Börse strebende Internetfirmen
bewertet werden. Die meisten Branchenbeobachter geben indes offen zu,
dass es sich um Marktübertreibungen handelt, die früher oder später
eine deutliche Korrektur erfahren müssen.

Mit dem gestrigen Börsengang von Pandora Media, einem
Online-Radiodienst, der 2010 knapp 138 Mill. Dollar erlöst hat und
der nun mit mehr als 3 Mrd. Dollar bewertet wird, kann der Liste
übertrieben teurer Gesellschaften eine weitere hinzugefügt werden.
Pandora wird zu einem Erlösvielfachen von über 20 gehandelt. Ein
Kurs-Gewinn-Verhältnis lässt sich nicht ermitteln, weil zuletzt kein
Gewinn erzielt werden konnte.

Wenn das Geschäftsmodell so bestechend wäre, dass ein rasantes
Wachstum mit anschließender Ergebnisexplosion praktisch
unausweichlich scheint, ließe sich eine astronomische Bewertung
vielleicht noch begründen. Allerdings hat es Pandora mit einer
Vielzahl von Wettbewerbern zu tun. Neben direkten Rivalen wie der
schwedischen Spotify, die in Europa höchst erfolgreich agiert und in
den US-Markt strebt, arbeiten auch finanzkräftigere Konzerne wie
Apple und Google am Ausbau ihrer Internet-Musikdienste.

Der Online-Rabattvermittler Groupon, dessen Pläne für ein Initial
Public Offering (IPO) bereits verkündet wurden, dürfte ebenfalls
gierige Abnehmer finden. Die Gesellschaft, die 2010 bei 760 Mill.
Dollar Umsatz einen dreistelligen Millionenverlust einfuhr, soll bis
zu 20 Mrd. Dollar wert sein. Dem sozialen Netzwerk Facebook, das auf
1,2 Mrd. Dollar Umsatz kam, werden sogar 100 Mrd. zugetraut. Den
Anlegern, die zu diesen Wahnsinnsbewertungen kaufen, geht es indes
wohl ohnehin nicht um die langfristige Anlageperspektive. Die
chinesische Internetfirma Renren etwa, die Anfang Mai ein
sensationelles IPO hinlegte mit über 25% Kursgewinn am ersten Tag,
kostet mittlerweile nur noch die Hälfte ihres Ausgabepreises. Auch
für Yandex und Linkedin ging es – nach dem Tag der Erstnotiz – vor
allem bergab. Die enormen Kurssprünge am ersten Handelstag sollten
die Investoren besser nicht in den IPO-Wahn treiben. Es wird zwar
Kasse gemacht – aber nicht von den Aktionären, die sich überteuerte
Papiere ins Portfolio legen. Vielmehr nutzen Venture-Capital- und
Private-Equity-Fonds das IPO-Klima für den lukrativen Exit aus
unsicheren Investitionen.

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