Börsen-Zeitung: Kein Ausweg in Sicht / Kommentar zum Brexit-Prozess nach der Wahl Boris Johnsons von Andreas Heitker

Auch wenn es in London vielleicht anders gesehen
wird, aber der Wechsel von Theresa May zu Boris Johnson ändert am
Brexit-Prozess erst einmal wenig. Weiterhin liegt ein ausgehandeltes
Austrittsabkommen auf dem Tisch, dem das britische Unterhaus nicht
zustimmen, das die EU-27 aber nicht neu verhandeln will. Weiterhin
gibt es im Parlament in London keinerlei Mehrheit für irgendeine
Option in den künftigen Beziehungen. Wenn Unterhaus und britische
Regierung sich beispielsweise für eine Zollunion entscheiden würden,
wären alle Probleme schnell vom Tisch. Gelingt es Johnson im
Gegensatz zu May, eine Mehrheit für irgendetwas zu organisieren? Da
gibt es berechtigte Zweifel. Als Brückenbauer ist der Lautsprecher
der Brexiteers bislang eher nicht in Erscheinung getreten.

Um noch einmal in Erinnerung zu rufen, was (aus britischer Sicht)
das Problem am Austrittsabkommen ist: Es geht um den sogenannten
Backstop, der als Notfallmechanismus helfen soll, eine harte Grenze
auf der irischen Insel zu vermeiden. In Großbritannien herrscht trotz
zahlreicher Erklärungen der EU-Seite weiterhin die Sorge vor, dieser
Backstop könnte von Brüssel dazu genutzt werden, das Land auch
langfristig an die EU zu ketten. Doch wo ist die Suche nach einer
alternativen Lösung für das komplizierte Grenzproblem zwischen Irland
und Nordirland? Aus London sind seit der Verlängerung des
Brexit-Datums im April keine Vorschläge hierzu gekommen. Und Brüssel
oder auch Dublin haben sich ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert und
konstruktiv einen Ausweg gesucht.

So läuft jetzt alles auf eine erneute Verlängerung der
Brexit-Frist hinaus, ohne dass irgendeine Lösung absehbar wäre. Die
Rufe nach einem Ende mit Schrecken und nach Planungssicherheit für
Unternehmen und Bürger werden zwar lauter. Aber weder im Unterhaus
noch in der EU-27 ist man bislang zu einem ungeregelten Austritt an
Halloween wirklich bereit. Daran ändern auch Johnsons markige Sprüche
nichts.

In Brüssel setzt man ohnehin darauf, dass auch beim neuen
britischen Premier Wahlkampf-Rhetorik und (Real-)Politik zweierlei
Paar Schuhe sind. Dass die Unterhändler aus Brüssel Johnson jetzt
plötzlich ganz andere Angebote machen als seiner Vorgängerin May, ist
auch nicht zu erwarten. Und auf mehr Entgegenkommen der neuen
EU-Kommission sollte Johnson auch nicht hoffen – auch wenn die
künftige Präsidentin Ursula von der Leyen einer weiteren
Fristverlängerung beim Brexit schon den Weg bereitet hat.

(Börsen-Zeitung, 24.07.2019)

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