Die jüngste Querele bei Siemens geht so: Da will
ein Aufsichtsratschef (Gerhard Cromme) den Vertrag eines Vorstands
(Chefjurist Peter Solmssen) erneuern, ein Teil des Unternehmens hat
aber Einwände – die zweite Amtszeit ist also kein Selbstläufer, wie
diese Zeitung schon am Freitag schrieb. Na und, mag man fragen.
Schließlich ist das Schachern um Pöstchen für die breitere
Öffentlichkeit meist nur von voyeuristischem Interesse. Doch dieser
Fall ist etwas Besonderes. Er ist sogar geeignet, die Moral bei
Siemens zu untergraben.
Was ist geschehen? Die Geschichte ist kompliziert, die Kurzform
lautet so: Konzernchef Peter Löscher stieg 2009 aus der
Atom-Partnerschaft mit Areva aus und kündigte einen Rosatom-Deal an.
Solmssen gab dafür grünes Licht. Die Rechtmäßigkeit sei untermauert
worden durch interne und auch externe Gutachten, heißt es im
Unternehmen. Doch ein internationales Schiedsgericht zerriss die
Argumentation der Münchner. Siemens muss netto 440 Mill. Euro
Strafzahlung verbuchen.
Dieser Betrag ist aber nicht einmal die halbe Wahrheit. Der
Ausstieg kostet sogar 1 Mrd. Euro nach Steuern, wenn man den Ertrag
vergleicht mit jenem Wert, der vermutlich bei einem geregelten
Rückzug steuerfrei in die Siemens-Kasse geflossen wäre. Hinzu kommen
noch „weiche“ Kosten, schließlich darf Siemens Areva jahrelang keine
Konkurrenz rund um die Nukleartechnik machen, hält für das
Atomgeschäft aber eine ganze Mannschaft vor. Mächtig ins Kontor
schlagen auch die Beraterkosten.
Aus drei Gründen darf ein Aufsichtsratschef hier nicht zum Alltag
übergehen. Erstens verdienen die extern erstellten Schriftstücke das
Wort „Gutachten“ nicht, denn sonst müssten diese Gutachter auf
Schadenersatz verklagt werden können. Zweitens war der Ausstieg
jenseits juristischer Fragen katastrophal schlecht gemanagt. Durch
das Vorziehen der Verkaufsoption für einen maßvollen Preis wäre der
Ausstieg ebenfalls früher gelungen, hätte man das Areva-Management
nicht so brüskiert. Drittens: Wenn die oberste Führungsriege mehr als
1 Mrd. Euro einfach so zum Fenster herauswerfen darf, wird dies die
Moral im operativen Management verderben.
Selbst wenn man kein Fehlverhalten sieht: Irgendjemand muss
wenigstens die politische Verantwortung übernehmen – oder sonstige
Konsequenzen sind zu ziehen. Es geht nicht um die Person Solmssen. Es
geht um die gute Unternehmenskultur. Zu den Aufgaben eines
Aufsichtsratschefs gehört es, diese Kultur zu verteidigen. Sonst
kostet der Areva-Ausstieg mehr als „nur“ Geld.
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