Am Donnerstag hatte es am europäischen
Aktienmarkt nach den Verlusten der Vortage wieder recht positiv
ausgesehen. Die Indizes zeigten zumindest zaghafte Anzeichen der
Erholung. Am Freitag hat sich die Lage jedoch wieder deutlich
verschärft. Der Dax durchbrach charttechnische Widerstandszonen und
nahm zeitweise Kurs auf die vielbeachtete Marke von 11000 Punkten,
von der ihn auf seinem Tagestief nur noch rund 50 Indexpunkte
trennten. In der gerade beendeten Handelswoche hat er damit rund 3,6%
eingebüßt.
Auf europäischer Ebene sieht es nicht besser aus. Der Euro&Stoxx50
gab in den fünf Handelstagen um 3% nach. Betrachtet man die
Performance des europäischen Marktes auf Monatssicht, so fällt auf,
dass der StoxxEurope600 als relativ marktbreiter Index im Oktober auf
seine schwächste Performance seit August 2011 zusteuert. Und schaut
man auf die globalen Aktienmärkte, lässt sich feststellen, dass der
MSCI All-Country World Index mittlerweile die fünfte Woche in Folge
einen Verlust aufweist. So schlecht hatte er sich zuletzt im Mai 2013
entwickelt. Seit Ende September ist den Aktienmärkten weltweit
bereits eine Marktkapitalisierung von mehr als 6,7 Bill. Dollar
abhandengekommen. Nimmt man den Stand per Anfang Januar als Maßstab,
so sind bereits weltweit 15 Bill. Dollar an Börsenwert der notierten
Unternehmen verloren gegangen.
Wie nervös die Anleger sind, lässt sich an den Kursreaktionen von
Unternehmen wie dem Autozulieferer Valeo und dem Ölkonzern Total
ablesen. Die Aktie von Total kam zum Wochenschluss auf ein Minus von
1,5%, obwohl das Unternehmen mit einem starken Gewinnzuwachs im
Quartal glänzen konnte. Bei Valeo führte eine Gewinnwarnung zu einem
Absturz der Aktie um in der Spitze mehr als 20%.
Das letztere Beispiel zeigt, worüber sich die Anleger Sorgen
machen: Es erweist sich nun, dass die Erwartungen der Analysten
hinsichtlich der Gewinndynamik der Unternehmen deutlich überzogen
sind. Dies gilt in erster Linie für die amerikanischen und
europäischen Technologiewerte, mit Blick auf das sich eintrübende
Umfeld der Aktienmärkte aber auch für andere Sektoren.
Sieht man sich die Gewinnerwartungen der Analysten für das
laufende Jahr an, fällt auf, dass diese für den US-Benchmark-Index
S&P 500 bis zuletzt noch deutlich optimistischer geworden sind (vgl.
Grafik). Wurde Anfang des Jahres gemäß der Konsensschätzung noch mit
einem Gewinnanstieg der großen börsennotierten US-Konzerne von 12,3%
im laufenden Turnus gerechnet, geht man aktuell von 23,1% aus. Dabei
haben sich die Marktteilnehmer wohl zu viel Positives von den
Trump–schen Steuererleichterungen versprochen und deutlich zu hohe
Bewertungen akzeptiert. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis
(KGV) der Titel im S&P 500 für das laufende Jahr lag Anfang des
Jahres bei luftigen 18,5. Mittlerweile ist es zwar auf 16,7
zurückgegangen, womit es sich aber immer noch deutlich über dem
Durchschnittswert der vergangenen zehn Jahre von knapp unter 15
befindet.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich das Umfeld aktuell
gegenüber den Vergleichsjahren nach dem Ende der großen Finanzkrise
deutlich eingetrübt hat. So hat die Verschuldung der Unternehmen noch
weiter zugenommen, wobei sich die US-Notenbank Federal Reserve
bemüht, die Zinsen wieder auf Normalniveau zu hieven, um
Reaktionsspielraum für die nächste Krise zu haben. Das engt den
Refinanzierungsspielraum der Unternehmen ein. Der aktuelle
Konjunkturzyklus nähert sich zudem seinem Ende, während der
eskalierende Handelsstreit sich als eine zusätzliche Belastung für
die Volkswirtschaften und die Gewinnentwicklung der Unternehmen
erweist. In Europa kommt noch der Haushaltskonflikt zwischen der
Kommission und der italienischen Regierung hinzu. Dieser hat das
Zeug, die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der Europäischen Union
deutlich zu vergrößern.
Dass sich die überzogenen Gewinnerwartungen in Europa und
insbesondere in Deutschland bereits spürbar abgebaut haben, hilft
den hiesigen Aktienmärkten angesichts der Dominanz
angloamerikanischer Investoren nur wenig. Zu vermuten ist, dass sich
die Korrektur in Europa noch so lange fortsetzt, bis die
Übertreibungen am amerikanischen Aktienmarkt abgebaut sind.
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