Börsen-Zeitung: Lebenswerk, Kommentar zum IPO von Knorr-Bremse von Joachim Herr

Wahrscheinlich hatte sich Heinz Hermann Thiele
längst entschieden. Schon vor einem Jahr nannte der Eigentümer von
Knorr-Bremse einen Börsengang als vorrangige Option für das Regeln
seiner Nachfolge. Jetzt ist aus Plan A Gewissheit geworden. Wenn
nicht ein plötzliches Ereignis die Aktienwelt erschüttert, wird in
etwa vier Wochen das Münchner Unternehmen zum ersten Mal auf der
Kursliste im Frankfurter Prime Standard stehen.

Für die Zukunft seines Lebenswerks vertraut der 77 Jahre alte
Thiele lieber Aktionären als Käufern des Unternehmens oder Kuratoren
einer Stiftung. Eine Familienlösung wäre als weitere Option in
Betracht gekommen. Ob sich Thiele damit überhaupt ernsthaft
beschäftigt hat? Die Erbschaftsteuer spricht dagegen. Zudem kann ein
milliardenschweres Unternehmen, das Thiele zum Weltmarktführer
geformt hat, für die Erben eine riesige Last sein – die nächste
Generation sogar erdrücken. Das Vater-Sohn-Verhältnis war ohnehin
zerrüttet: Henrik Thiele verließ als Manager das Unternehmen und ließ
sich als Gesellschafter auszahlen. So ist seine Schwester Julia
Thiele-Schürhoff die einzige Eigentümerin neben dem
Familienoberhaupt.

Heinz Hermann Thiele wird es nicht leichtfallen, die Mitsprache
von Aktionären zu akzeptieren. Er ist nach wie vor der starke Mann im
Unternehmen: Seit seinem Rückzug vom Vorsitz im Aufsichtsrat lässt er
sich als Ehrenvorsitzender des Kontrollgremiums für seine
Lebensleistung würdigen. Und er signalisiert mit diesem Titel, den es
im deutschen Aktiengesetz nicht gibt, dass er weiterhin wache Augen
auf seinen Besitz richtet und bei Bedarf eingreift.

Da er und seine Tochter zunächst die Mehrheit behalten, kann er
sich wohldosiert mit der Aufnahme von neuen Eigentümern anfreunden.
Diese Aktionäre sollten, auch wenn sie in der Minderheit sind, die
Besetzung mit den sechs von Thiele ausgewählten Aufsichtsräten der
Kapitalseite nicht akzeptieren: Unabhängig sind diese Mitglieder wohl
kaum.

Dem Vorstand wird Thiele – wenn auch mit der gebotenen Distanz –
weiterhin auf die Finger schauen. Die Strategie ist auf Wachstum
getrimmt – mit Akquisitionen und dem Einstieg in neue
Geschäftsfelder. Knorr-Bremse will die Konsolidierung der Branche
dominieren. Das Geld dafür muss sich das Unternehmen verdienen oder
als Schulden holen. Denn die Thieles behalten den Emissionserlös. Der
Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats lässt sich auch finanziell für
seine Lebensleistung entlohnen.

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